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Archiv-Artikel

Verfehlte Dogmen

Betr: „Freitod mit Anleitung“, „Ticket in den Tod“, „Streit um Sterbehilfe“, taz nord, 22., 27. und 28.9.

Das sensible Thema, dem Sie sich zuwenden, bedarf gründlicher Recherchen. In Deutschland krankt die Diskussion häufig bereits daran, dass die Begriffe, um die es hier geht, nicht selten unsauber, bisweilen sogar falsch dargestellt werden. Sie schreiben, die indirekte oder direkte Sterbehilfe sei verboten. Dies trifft nicht zu. Vielmehr unterscheiden die Juristen zwischen einer aktiven direkten und einer aktiven indirekten Sterbehilfe. Von indirekter Sterbehilfe spricht man dann, wenn starke Schmerzmittel am Lebensende gegeben werden, der Arzt billigend in Kauf nimmt, dass dadurch der Tod etwas früher eintreten könnte, aber den Tod mit dieser Schmerzbekämpfung nicht beabsichtigt. Gibt der Arzt jedoch diese Schmerzmittel, damit der Tod eintreten möge, handelt es sich um die so genannte „aktive direkte Sterbehilfe“. Verlangt der Patient diese Form von Sterbehilfe, spricht man von „Tötung auf Verlangen“ (§ 216 StGB). Bei der Ausrichtung von DIGNITAS und DIGNITAS-Deutschland handelt es sich meines Wissens nicht um diese Sterbehilfe-Formen, sondern um Beihilfe zum Suizid.

Seit Friedrich dem Großen ist Suizid straflos, konsequenterweise Beihilfe zum Suizid ebenfalls. Allerdings gibt es seit der NS-Herrschaft den berühmten Paragrafen 323 c StGB [Strafgesetzbuch, d. Red.], die „unterlassene Hilfeleistung“, die es verbietet, nicht lebensorientiert zu helfen, wenn ein Patient bewusstlos wird, so dass die widersprüchliche Situation eintreten kann, dass ein Arzt straflos bleibt, wenn er einem Patienten ein tödliches Mittel besorgt, jedoch mit Strafe rechnen muss, wenn er beim Suizidversuch so lange dabei bleibt, bis dieser bewusstlos geworden ist.

Die Juristen und der Gesetzgeber haben es versäumt, zwischen einer lebensorientierten und einer Würde- und Sterbe-orientierten Hilfeleistung zu unterscheiden. Wer sich für diese skurrile aktuelle Rechtslage ausspricht, unterstützt damit letztlich ein NS-Gesetz.

Es wäre an der Zeit, nicht mit kirchlichen Dogmen die aktuellen Missstände zu zementieren, sondern aufzuklären, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen dem Suizidversuch einer 17-Jährigen aus Liebeskummer und einem 85-Jährigen nach 3 Krebsoperationen, der die Fortsetzung seines Lebens nicht mehr mit seinem persönlichen Würdeempfinden in Einklang zu bringen vermag. Meines Erachtens bleibt abzuwarten, ob DIGNITAS die hohen Erwartungshaltungen, die nun geweckt wurden, erfüllen kann.

Die Grenze muss dort sein, wo Suizid zur ersten denkbaren „Lösung“ wird und nicht ultima ratio bleibt, wie dies die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS) sieht. Es sollte besser aufgeklärt werden, dass die vernünftige Aufklärung über Suizidfragen nicht die Suizidraten erhöht, sondern verringert. Durch die Dämonisierung und Stigmatisierung von Selbsttötung wird verhindert, dass Menschen mit Suizidgedanken sich seelisch öffnen; und wenn dann in Deutschland immer noch die Einweisung in die Psychiatrie droht, braucht sich der Gesetzgeber nicht zu wundern, wenn nun auch in Deutschland sich mehr und mehr Organisationen gründen, die nicht nur bunte Luftballons der Sterbebegleitung aufsteigen lassen, sondern handeln. KURT F. SCHOBERT, DGHS-Geschäftsführer