: Alle Macht dem Negativ
Am Anfang waren harte Drogen, mittlerweile sind die fünf Akteure von Artists Anonymous nicht bloß clean, sondern auch im Kunstbetrieb angekommen. Zum Art Forum belagern sie die Stadt mit Ausstellungen und ihren oft exzessiven Performances
VON SEBASTIAN FRENZEL
Kein Tag ohne Kunst. Vernissagen, Performances und Galerie-Eröffnungen rollen über die Stadt, der Messen-Marathon rund um das Art Forum sorgt zusätzlich für Wirbel. Teil dieses ausufernden Kunstherbsts ist auch eine Gruppe namens „Artists Anonymous“; Künstler also, die ihre Identitäten verbergen und deren Werke in der Stadt momentan an einer ganzen Reihe von Orten gezeigt werden.
Vor dem Palast der Republik hat die Gruppe am Dienstagmorgen einen gigantischen Kunststoff-Kubus installiert, auf dessen Frontseite ein Film projiziert wird. „Kammerspiel“ heißt das Werk, doch von den anonymen Künstler ist nichts zu sehen. Ein schwäbisches Ehepaar, das sich trotz Sonnenscheins ängstlich fragt, welchen Windstärken dieser hüpfburgartig mit Luft gefüllte Kasten wohl standhalten würde, gehört vermutlich nicht zur Gruppe. Realen Schrecken verbreitet unterdessen der Film selbst: Ein glatzköpfiger, nackter Mann drückt sich gerade eine Nadel in den Oberarm und krümmt sich im Kick des ersten Rausches, die Szene ist in gespenstisch-surreale Farben getaucht.
Schließlich tritt eine junge Frau mit schwarzem Lederhut auf roten Zöpfen hinter dem Kubus hervor und sagt: „Hi, ich bin Astrid.“ So viel zur Anonymität. „Ja, der Name unserer Gruppe ist schon ein bisschen bekloppt“, lacht sie. „Aber er verhindert, dass unter uns so ein Konkurrenz-Ding entsteht, dass dann einer vorne steht und zeigen kann, wo er herkommt, wo er sein Handwerk gelernt hat, wie toll er ist und all das …“
Vor vier Jahren haben Artists Anonymous zusammengefunden, zwei Frauen und drei Männer, ein Teil von ihnen stammt aus Deutschland, der andere aus England, die Vergangenheit verbindet sie: „Wir sind cleane Drogenabhängige“, sagt Astrid ohne zu kokettieren. „Wir sind saubere Junkies“, wiederholt dies später Ed, der seinerseits jeden Gründungsmythos zerstört: „Wir waren im Arsch und wir lebten in Deutschland – so kamen wir irgendwie zusammen.“
Ihre Kunst bezeichnen sie als „negativ“. Das ist zunächst mal im technischen Sinne zu verstehen, als eigenwilliges Verfremdungshandwerk. Den markanten Effekt ihrer Bilder erreichen sie durch eine Methode, die sie „crossen“ nennen: Dabei nehmen sie Dia-Positive, die aber wie ein „normales“ Negativ entwickelt werden. Heraus kommen Bilder, die in den Komplementärfarben ihrer Vorlagen erscheinen, das gilt für die Filme von Artists Anonymous ebenso wie für die fotografischen Vorlagen ihrer Malerei.
In „Kammerspiel“ drückt derweil ein Punk eine junge Frau auf einen Tisch, reißt sich die Hosen runter und nimmt sie von hinten. „Die Szene ist während der Aufnahme spontan entstanden“, erzählt Astrid. „Uns wird manchmal vorgeworfen, dass wir Pornografie machen. Aber das sind halt Dinge, die in uns stecken und die ja auch in der Welt da draußen sind.“ Und während sie davon berichtet, wie die Performance beim Dreh immer neue, ungeplante Entwicklungen eingeschlagen hat, entfalten auch die Bilder des „Kammerspiels“ immer neue Tiefen, wirken wie Nachbilder auf der Netzhaut und schließlich wie Röntgenaufnahmen, die das Innere nach außen kehren. Das „Negative“ ist bei Artists Anonymous handwerkliche Methode und ästhetische Strategie zugleich, ist persönliche Einstellung und scharfsinniger Kommentar zum gesellschaftlichen Umfeld.
In der „Bäckerei“, ihrem früheren Atelier in der Danziger Straße, kann man zurzeit weitere Werke der Künstler sehen. Ein schwarzer Gang führt zu den Räumen, dort liest man: „KZ heißt nicht Konzentrationslager. Das heißt KL. KZ heißt Kinderzimmer.“ Ein bisschen gestört klingt das schon, und ein bisschen irre schaut einen dann im „Kinderzimmer“, dem größten Ausstellungsraum, ein Clown mit weit aufgerissenen Augen an. Unter der schrill bunten Oberfläche schlummern Konflikte, die sich in absurden Darstellungen entladen.
Ähnliche Arbeiten der Gruppe vertritt die Galerie Christian Ehrentraut auf der Kunstmesse Preview. Was insofern nicht ohne Witz ist, als die anonymen Künstler am heutigen Freitag beim Berliner Kunstsalon eine Performance aufführen, die den programmatischen Titel „Leipzig will fall“ trägt. Und damit den Niedergang einer Bewegung prophezeit, zu deren Popularität ebenjener Christian Ehrentraut reichlich beigetragen hat. Am Ende stellt Astrid klar, dass sie absolut nichts gegen die Leipziger Künstler habe. Aber „die ökonomischen Kräfte, die hinter dem ganzen Hype stecken“, die findet sie schon irritierend.