„Der Staat ist für die Palästinenser ein Fetisch“

Der palästinensische Filmemacher Subhi al-Zobaidi über seinen Hass auf Selbstmordattentäter, den Film „Paradise Now“, die patriarchalen Verkrustungen der palästinensischen Revolution und Israels aggressive Politik

taz: Herr Zobaidi, kürzlich wurde „Paradise Now“, ein Spielfilm über zwei Selbstmordattentäter, erstmals in Ramallah gezeigt. Wie hat er Ihnen gefallen?

Subhi al-Zobaidi: Überhaupt nicht, leider.

Warum nicht?

Der Film bedient Stereotype von Selbstmordattentätern. Es trägt nicht zum Verständnis dieses Phänomens bei, die Attentäter bloß als verwirrte, hilflose und dumme Leute zu porträtieren. Diese Leute sind überzeugt von dem, was sie da tun.

Wie stehen Sie zu Selbstmordattentätern?

Ich hasse sie, ich lehne sie absolut ab. Aber es reicht nicht, sie einfach nur als falsch abzutun. Es ist ein Phänomen, das noch nicht hinreichend erklärt worden ist.

Wie erklären Sie es sich?

Es hat viele Facetten, soziale, politische, kulturelle. Selbstmord ist verboten im Islam. Aber gleichzeitig werden sie niemanden davon überzeugen können, dass es etwas Schlechtes ist, sich für seine Religion oder seine Leute zu opfern.

In Deutschland gab es die Kritik, der Film würde Selbstmordattentate verherrlichen.

Das ist doch absurd. So etwas würde hier nur die extreme israelische Rechte behaupten. Für mich sieht das eher nach Ausverkauf aus. Das Thema ist heiß, das verkauft sich gut.

Der Film ist eine europäische Koproduktion …

Das meiste Geld für anspruchsvolle arabische Filme kommt aus Europa. Aber dieses Geld ist nicht unschuldig, es kommt mit bestimmten Erwartungen. Meist geht es um eine „ausgeglichene Sicht“ auf den Nahostkonflikt, was immer das ist. So sehen die Filme auch aus. Die Leute im Westen wollen gerne Filme sehen über einen israelischen Soldaten, der sich in ein palästinensisches Mädchen verliebt. In Israel ist das ein richtig gehendes Genre. Aber auch die Deutschen lieben so etwas. Sie sind ganz verrückt danach, einen Palästinenser und einen Israeli zusammenzubringen, ob nun in einem Film oder auf einem Podium.

Wie sehen Sie Ihre Lage als Künstler heute?

Besser. Weil wir uns als Künstler heute nicht mehr durch die Politik legitimieren müssen. Früher hat der nationalistische Diskurs alles überlagert. Jetzt können wir unsere Stimmen als Individuen erheben, statt im Namen eines Kollektivs zu sprechen. Sehen Sie, wir sind ein verstreutes Volk. Es gibt mehr Palästinenser im Exil als in Palästina selbst. Allein in Chile lebt eine viertel Million Palästinenser, eine halbe Million in den USA, sie haben Zugang zu den unterschiedlichsten Kulturen. Aber alle politischen Parteien haben bislang versagt, diese Vielfalt anzuerkennen. Stattdessen sind wir mit einer Obsession für Schusswaffen aufgewachsen. Die Kultur der palästinensischen Revolution war eine sehr patriarchale, maskuline Kultur – keine der individuellen Freiheit.

Das Gleiche könnte man heute von der Hamas sagen.

Die Leute sind enttäuscht über die Autonomiebehörde, deshalb wenden sie sich Hamas zu. Sie dachten, nach dem Abkommen würde sich ihre Lage bessern. Aber das Gegenteil war der Fall: In Gaza herrschen heute Armut und Verzweiflung.

Der Nährboden für Gewalt?

Ja, aber diese Gewalt wendet sich auch nach innen.1998 stand jeden Tag in der Zeitung, dass in Gaza jemand Selbstmord begangen hatte. Jeden Tag – selbst unter der Besatzung hatte es das nicht gegeben! Ich habe einen Film darüber gemacht. Diese Depression hing mit der Enttäuschung über die Lage nach der Machtübernahme der Autonomiebehörde zusammen. Es gab so viele Hoffnungen, Illusionen. Heute gibt es keine Vision mehr.

Und welcher Vision folgt die israelische Regierung?

Ich glaube, sie wollen im Westjordanland so viel Land nehmen, wie sie können. Vielleicht war unsere Politik falsch. In unserer patriarchalen Mentalität wollten wir einen eigenen Staat. Der Nationalstaat war ein Fetisch – und wie es mit Fetischen so ist, deutet er mehr auf ein Problem denn auf eine Lösung hin. Vielleicht wäre es besser gewesen, für einen Status als gleichberechtigte Bürger in einem gemeinsamen Staat zu kämpfen.

Dafür ist es zu spät, die Trennung ist im vollen Gange.

Ja, von den Checkpoints bis zur Mauer – das ist keine reine Sicherheitsmaßnahme, das ist eine Technologie der Kontrolle. Ich glaube, die Israelis haben für uns ein Szenario im Kopf, dass wir am Ende in Reservaten leben wie die nordamerikanischen Indianer – ohne nationale Ansprüche und politische Repräsentation. Das Einzige, was mir noch Hoffnung gibt, ist die Kultur.

Warum?

Wenn man heute auf ein Festival reist, kann man sicher sein, einen palästinensischen Film zu sehen, aus Gaza, Israel oder der Diaspora. Ich glaube, in fünf Jahren wird das palästinensische Kino so etwas sein wie das iranische Kino, weil es von den Dingen erzählt, über die sonst nicht gesprochen wird. INTERVIEW: DANIEL BAX