Tough Times

TRADITIONSBRUCH Großbritanniens Zeitungen stecken in der Krise. Verleger kämpfen gegen schrumpfende Auflagen und wachsende Verluste – und suchen ihr Heil im deutschen Weg

AUS LONDON STEFFEN GRIMBERG

Der Eingang zur altehrwürdigen britischen Times könnte unwürdiger nicht sein: Das Times House in der Pennington Street im ehemaligen Handelshafen von London ist eingequetscht zwischen Bürobauten, mit Blick auf eine hohe Mauer. Dahinter liegt „Fortress Wapping“, Rupert Murdochs eigentliches Zeitungsreich mit den Boulevardblättern Sun und News of the World sowie den Druckereien, zu dem seit den 1980er-Jahren auch die Times und die Sunday Times gehören. Times House ist mit einer Brücke ans Mutterhaus angedockt – ein passendes Symbol. Denn die Times ist auf Zuschüsse ihrer deutlich größeren Sonntagsschwester und vor allem der Boulevardblätter angewiesen.

Und es wird bei der Times immer ungemütlicher. Zumal die im Vergleich mit den deutschen überregionalen Titeln immer noch beachtliche Auflage in den nächsten Monaten erheblich schrumpfen wird: „Wir verzichten ab sofort auf Sonderverkäufe und Bordexemplare“, sagt Chris McKane, als Deputy Managing Editor Verbindungsmann zwischen Verlag und Redaktion. Also keine weit unter Preis abgegebene Times mehr für Fluglinien und Hotels, um die Auflage ein bisschen schöner zu malen. Der liberale Guardian und sein Sonntagspartner, der Observer, haben diese Rosskur schon hinter sich – und im Vergleich mit 2008 dadurch massiv an Gesamtauflage verloren (siehe Tabelle). Bei allen Blättern schlägt zudem die Anzeigenkrise voll durch – und Britanniens Zeitungen sind von Anzeigen noch abhängiger als die deutschen Titel. Denn während die deutschen Qualitätszeitungen über 80 Prozent ihrer Auflage per Abonnement verkaufen, gehen auf der Insel 90 Prozent der Blätter im Einzelverkauf weg. Und das zu deutlich günstigeren Preisen: Die 76-seitige Times von Montag kostet gerade einmal 90 Pence (circa 1 Euro).

Vergangene Woche gab es für die Times drakonische Sparauflagen, weil die bislang stets profitable Sunday Times laut Insidern 2009 mit einem niedrigen zweistelligen Millionenverlust rechnet und auch die Gewinne auf dem Boulevard schrumpfen. Gut möglich, dass 60 der rund 470 festangestellten JournalistInnen gehen müssen. Zumal der für das Zeitungsreich verantwortliche Murdoch-Sohn James unlängst die Unternehmensberater der Boston Consulting durch das Times Building jagte. Eine stärkere Zusammenlegung der Redaktionen von Times und Sunday Times, wie dies bei den beiden Telegraphs und Independents längst der Fall ist und bei den Schwestern Guardian und Observer gerade vollzogen wird, schließt McKane aber aus.

Doch es ist vor allem der Independent, 1986 von ehemaligen Times-Journalisten aus Protest gegen Murdochs Umgang mit dem Blatt gegründet, der am härtesten von der Krise getroffen ist: Denn zum Auflagen- und Anzeigenverfall kommen hier noch Eigentümer-Streitigkeiten. Die Banken haben eben ein Schuldenmoratorium bis zum Jahresende verlängert, kommende Woche entscheiden die Aktionäre, wie – und ob – es weitergeht.

Der konservative Daily Telegraph hat dagegen einen Rettungsanker in der Krise gefunden – einen ziemlich deutschen: Er verkauft über 40 Prozent seiner Auflage mittlerweile per Abo.