: Da ist Leben drin
Jobmotor Ob Biotechnologie, Medizintechnik oder Diagnostik: In den Life Sciences werden nicht nur Hochschulabsolventen,sondern auch Fachkräfte mit Ausbildungsberufen gesucht. Firmen haben gelegentlich Probleme, passende Fachkräfte zu finden
von Lars Klaaßen
„Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit gehört Life Science zu den starken Wachstumsbranchen“, sagt Wolfgang Medinger. Der Geschäftsführer bei der Schlagheck Radtke Oldiges Executive Consultants in Ravensburg ist seit über einer Dekade in der Personalberatung tätig und war über viele Jahre Personalleiter in den Bereichen Instrumentelle Analytik, Medizintechnik und Gesundheit. Aus seiner Erfahrung schließt er: „Segmente wie Biotechnologie, Medizintechnik, Analytik, aber auch Bereiche wie Pharma, Ernährung und Umweltschutz werden in den nächsten Jahren dynamische Jobmotoren sein.“
Doch gibt es genügend Fachkräfte angesichts der großen Nachfrage? Auf Jobbörsen, Internetportalen und in sozialen Netzwerken wird hochtourig sondiert. Die Suche nach qualifiziertem Personal hat viele Facetten und es gibt eine ganze Reihe von Ansatzpunkten: Kontakte zu Hochschulen und Instituten, Praktika, Abschlussarbeiten – und nicht zuletzt die Einbeziehung der eigenen Mitarbeiter in die Suche. Auch die langfristige Personalplanung, die Ausbildung eigener Fach- und Führungskräfte und die Optimierung des Arbeitgeberimages – sogenanntes Employer Branding – spielen eine Rolle.
„Durch die Vielzahl an Möglichkeiten ist aber die Suche auf beiden Seiten nicht einfacher geworden“, gibt Medinger zu bedenken. „Bei den Life Sciences ist es manchmal schwer, genau die Spezialisten zu finden, die einen ganz spezifischen Wissensschwerpunkt haben, oder auch Naturwissenschaftler, die neben ihrer fachlichen Qualifikation auch betriebswirtschaftliches Know-how, Interesse am Vertrieb oder Managementpotenzial mitbringen.“ Gerade bei Profilen, die unterschiedliche Qualifikationen zusammenbringen, wie beispielsweise Medizininformatiker, kann die Suche bisweilen etwas länger dauern. „Hier sollten die Entscheider abwägen, ob es besser ist, viele Wochen oder Monate nach dem richtigen Bewerber zu suchen oder eine Stelle kurzfristig mit einem Kandidaten zu besetzen, der schneller verfügbar ist“, so Medinger. „Nach meiner beruflichen Erfahrung ist bei einem sorgfältigen Auswahlprozess die Quote der ‚Fehlbesetzungen‘ eher gering.“
Den zunehmenden Fachkräftemangel betrachten hiesige Unternehmen dabei als Risiko. Das ergab ein Report des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) zur Gesundheitswirtschaft. Das gilt demzufolge für 66 Prozent der personalintensiven Gesundheits- und sozialen Dienste, für 45 Prozent in der Gesundheitswirtschaft und 38 Prozent in der Gesamtwirtschaft.
Dass es schwierig sein kann, die passenden Fachkräfte zu finden, bemerkt man unter anderem bei Biolago. Dieses grenzüberschreitende Netzwerk für Life Sciences in der Vierländerregion Bodensee (Deutschland, Schweiz, Österreich und Liechtenstein) verknüpft Wirtschaft und Wissenschaft, fördert den Wissenstransfer und die Gründung neuer Unternehmen. Es vereint rund 6.500 Arbeitsplätze in Forschung, Produktion und Dienstleistung. Die Biolago-Unternehmen haben in den letzten Jahren 1.200 neue Arbeitsplätze im Bodenseeraum geschaffen – aber: „Es fehlen vor allem Laborkräfte, die in der Region kaum noch ausgebildet werden“, sagt Netzwerk-Mitarbeiter Uwe Gundrum. Es gibt dort auch Bedarf für technische und naturwissenschaftliche Fachkräfte wie Informatiker, Ingenieure, Chemiker und Biologen. Die Unternehmen kooperieren gezielt mit Schulen und Hochschulen. „Der Erfolg ist insgesamt noch begrenzt“, so Gundrum. „Die Unternehmen könnten sich noch mehr in der betrieblichen Ausbildung engagieren und über Schul- und Unternehmensbesuche sowie Medienkampagnen für Life-Science-Berufe werben.“
Wie viele andere Bereiche werden auch Life Sciences durch Digitalisierung revolutioniert. Die Studie „Pharma im digitalen Wandel“ – herausgegeben von Hays, einem Personaldienstleister für die Rekrutierung von hochqualifizierten Spezialisten – stellt fest: „Digitale Trends rund um Big Data, Cloud oder mobile Technologien eröffnen Pharmaunternehmen zahlreiche neue Möglichkeiten, um beispielsweise über eine ‚computergestützte Wirkstoffsuche‘ Produkte zu entwickeln, diese im Sinne einer ‚personalisierten Medizin‘ individueller auf die Patienten abzustimmen sowie deren Sicherheit zu erhöhen.“
Im Zuge dieser Prozessdigitalisierung ändern sich auch die Job- und Anforderungsprofile der Mitarbeiter. Einerseits werden klassische Verwaltungstätigkeiten immer stärker automatisiert, andererseits sind die Mitarbeiter gefordert, Entscheidungen – softwaregestützt – selbstständig zu treffen. Mehr noch: Die Digitalisierung befördert auch die Auslagerung und Umstrukturierung von Unternehmensbereichen. Dadurch steigt der Druck auf die Mitarbeiter, sich fortlaufend in neue Arbeitsumgebungen und Themenstellungen einzuarbeiten.
Durch die fortschreitende Digitalisierung in der Pharmaindustrie steigt nicht zuletzt auch der Anteil der Wissensarbeit – also die Anzahl an Themen, für die Wissen und Kreativität erforderlich sind und für die es vielfach keine vordefinierten Abläufe gibt. Die Mitarbeiter sind vor diesem Hintergrund einerseits gefordert, eigenständig zu arbeiten sowie Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen. Auf der anderen Seite ist auch die Fähigkeit gefragt, in Teams mitzuwirken.
„Angesichts der neuen Themen fällt es den Unternehmen in der Pharmaindustrie immer schwerer, den damit verbundenen Personalbedarf zu decken“, urteilt auch Jörg Baumann, Director Life Sciences bei Hays. „So halten es mehr als 40 Prozent der Befragten für überwiegend schwierig, die zur Bearbeitung der neuen Themen notwendigen Kompetenzen intern aufzubauen. Die externe Rekrutierung entsprechender Experten schätzen mehr als 40 Prozent der Führungskräfte als problematisch ein.“
Die Themen rund um die digitale Transformation lösen die Unternehmen überwiegend ähnlich: durch eine gezielte Aufstockung des eigenen Personals (56 Prozent) und durch die Inanspruchnahme externer Dienstleister (62 Prozent). So greifen schon heute mehr als zwei Drittel der Pharmaunternehmen auf das Know-how externer Experten in flexiblen Beschäftigungsverhältnissen zurück.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen