Frankreich

Auftakt zum Präsidentschafts-Wahlkampf: In Lyon treten am ­Wochenende die derzeit populärsten KandidatInnen vors Publikum

Der andere Publikumsmagnet

Emmanuel Macron Noch ist offen, wohin genau der 39-jährige Kandidat politisch steuert. Er beschwört seine Landsleute, sich jetzt auf die großen Ideale zu besinnen: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit

Hand aufs Herz: Er will’s unbedingt besser machen Foto: Michel Euler/dpa

PARIS taz | Emmanuel Macron hat Zulauf. Wenn es beim Wettstreit zwischen den gleichzeitig in Lyon auftretenden Präsidentschaftskandidaten nur um die Zuschauerzahl ginge, hätte er am Samstag klar gewonnen: Mehr als 10.000 Anhänger verfolgten seinen Auftritt – im Innern des Sportpalasts oder, mangels Plätzen, draußen auf dem Großbildschirm.

Seine Wahlkampfveranstaltung übertrugen mehrere TV-Sender live. Vielleicht ist es die Aussicht auf seinen Sieg, der diese Menschen mobilisiert, die zu Tausenden schon in den letzten Wochen zu seinen Auftritten kommen. Oder aber sie wollen einfach einen „Neuen“, der nicht ein Vertreter einer der bisherigen Parteien ist.

Was ihm eigentlich im ­politischen System Frankreichs zum Verhängnis werden sollte, stellt sich – wegen der Krise der traditionellen Parteien von links und rechts – nun als sein wichtigster Vorteil heraus. Wie ­Marine Le Pen vom Front National profitiert auch Macron eindeutig von der Krise des „Systems“, aber auf eine andere Weise, die er optimistisch werten möchte.

Gleich zu Beginn seiner Ansprache erklärt er seinen Fans, ihre Anwesenheit sei der eklatante Beweis dafür, dass sich die Franzosen nicht von der Politik abgewandt hätten. Jeder einzelne, der hier sei oder zu Hause am Fernsehen zuschaue, zeige, wie groß im Gegenteil die Lust an der Debatte sei.

Macron spricht davon, die Gegensätze versöhnen zu wollen. Er erinnert sie daran, wie sich in Frankreich die Parteien und Gegner zusammenfanden, um gemeinsam Großes zu leisten – gerade in den dramatischsten Stunden der Geschichte: „Nicht als Linke oder Rechte, sondern als Franzosen.“

So hätten sich 1940 hinter General de Gaulle Konservative und Kommunisten, Christen und Freimaurer zum Widerstand vereint, im Dreyfus-Antisemitismusstreit hätten der linke Émile Zola und der rechtskatholische Charles Péguy gemeinsam die Ehre der Nation verteidigt. Macron erwähnt die Tradition der alten Bewegung der Radikalen und vergisst bei seinen Referenzen weder den Sozialisten François Mitterrand noch den Neogaullisten Jacques Chirac als Beispiele der Überwindung von Trennlinien.

Er appelliert (etwas „messianisch“, spottete anschließend ein Fernsehjournalist) an die Menschenliebe, vor allem aber an den Patriotismus. La France, das ist der gemeinsame Nenner, den er voraussetzen kann.

Die Devise Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit ist sein Leitmotiv. An dieser Dreifaltigkeit der Republik entwickelt er seine Vorstellungen, dass eine Freiheit ohne Streben nach Gleichheit nur das Recht des Stärkeren sei oder dass die durch die Trennung von Religion und Staat garantierte Gewissensfreiheit jedem die Ausübung seines Glaubens ermögliche, aber auch verbiete, dass ein Mann sich aus religiösen Motiven weigere, einer Frau die Hand zu reichen oder dass Gruppen in ihren Quartieren Verbote dekretieren.

Die Forderung nach Gleichheit bedeute auch, dass man nicht den späteren Generationen eine kaputte Umwelt und eine unerträgliche Schulden­­last vererben dürfe. Die Brüderlichkeit schließlich sei eine Frage der Menschenwürde. Diese werde von jenen verraten, die nun schon das Gesicht von Andersaussehenden verachten.

In Anspielung auf die Familie Le Pen sagte Macron: „Vom Vater über die Tochter bis zur Nichte reden sie nicht im ­Namen des Volks, sondern nur im Namen ihrer eigenen Verbitterung. Das Frankreich, von dem sie reden, hat so nie existiert.“ Er dagegen wolle nicht im Namen des ­Volkes reden, sondern „mit dem Volk und für das Volk handeln“.

Doch wo steht er politisch? Aus Verlegenheit haben ihm die Medien vorläufig ein Etikett als Linksliberaler verpasst. Er sage nicht, links und rechts existiere nicht oder sei dasselbe, doch man könne politisch von links oder rechts oder aus der Mitte kommen und das Programm der Bewegung „En ­marche!“ (Los geht’s) unterstützen.

Er ist der Kandidat des Sowohl-als-auch, solange er damit positive Resultate bewirken kann. Er sagt, man könne „nicht den Kapitalismus verherrlichen, ohne dessen Exzesse zu begrenzen“, man werde nicht von den Fortschritten der EU reden, ohne neue Projekte für Europa zu entwickeln.

Macron erwähnte in Lyon Marine Le Pen, die er mit seiner Kandidatur in der Stichwahl besiegen will, nicht mit Namen. Er vergaß aber nicht, seinem anderen Gegner, ­François Fillon, einen vernichtenden rhetorischen Seitenhieb mitzugeben. Dem konservativen Exministerpräsidenten wird vorgeworfen, er habe seine Frau Penelope zum Schein als Assistentin angestellt und mit Hunderttausenden Euro aus Steuergeldern bezahlt.

Macron: Wer die Forderung nach Transparenz als Komplott bezeichne (wie Fillon), verschlimmere seine Schwierigkeiten nur noch durch „Würdelosigkeit“. Rudolf Balmer