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Die grüne Hölle lauert überall

SCHAUSPIEL In Hannover verlegt Florian Fiedler Shakespeares „Othello“ in den Dschungel. Venedig kommt als Ort der Zivilisation nicht mehr vor – denn der Krieg lebt in den Köpfen der Krieger fort

Mitten in der Wildnis baut der General Othello (Janko Kahle) für seine Schnitte Desdemona (Carolin Haupt) den Frühstückstisch auf, holt das Butlers-Brettchen aus dem Armee-Zelt, jongliert mit Eiern und dunklen Toasts und gibt sich der Seligkeit des trauten Pärchenlebens hin. Zwischendurch schleicht ein Soldat mit einem Maschinengewehr vorbei. „Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen“, vermeint man zu hören. Florian Fiedlers Othello-Inszenierung am Jungen Schauspiel Hannover streift in ihren besten Momenten Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“-Erzählung.

Dann zeigt der Abend den Wahnsinn des Krieges, der immerfort in den Köpfen der Krieger fortlebt, auch wenn sie mal nicht an der Front sind, sondern im fernen Venedig Pause machen. Denn anders als in fast allen anderen Othello-Inszenierungen gibt es Venedig als den Ort der Zivilisation und der gezähmten Triebe in Fiedlers Dschungel-Show gar nicht. Auch zu Hause sitzen die Kämpfer im Dschungel unter den Tarnnetzen, die die ganze Spielstätte Ballhof zudecken – und mit ihnen die Zuschauer: Die grüne Hölle lauert überall.

Dass dieser Othello dennoch immer wieder im Schabernack zu ertrinken droht, liegt an dem allgegenwärtigen Hang zu einer ziemlichen simplen politischen Korrektheit, die verpackt in wohlfeilen Botschaften immer wieder dem Publikum entgegen geschrien wird. Da spielt ein Dschungel-DJ den ganzen Abend über seine Sounds und raunt dem Publikum per Mikrofon entgegen, dass es jetzt nach Zypern gehe, wo die Soldaten brandschatzen und vergewaltigen, „äh ich meinte natürlich den Frieden sichern und so“.

Da darf Othello natürlich keinen Hauch von Fremdheit mit in seine Rolle bringen, ist ein Weißer unter Weißen, wird aber dennoch allerorten im Text als „schwarz“ denunziert. Er spricht vom fernen Kontinent, von dem er kommt – und vom „Fall ins Bodenlose“, wenn er Desdemona verliert, ohne das erkennbar würde, warum gerade ihm ihr Verlust so zu schaffen machen könnte.

Die Angetraute beweist derweilen ihre Männlichkeit gegenüber den Jungs, indem sie erst mal in die Ecke unter eine der Palmen kackt – und sich von Jago (Philippe Goos) demonstrativ die Klopapierrolle reichen lässt.

Wir dürfen das N-Wort nicht sagen, ruft einer gleich zu Beginn, immer wieder müssen sich alle durch ironische Überspitzung vom vermeintlichen Rassismus im Text distanzieren. Diese theatrale Art der Teufelsaustreibung steht gerade dann arg im Weg, wenn es um die gar nicht so rassistische Geschichte geht, die Florian Fiedler immer wieder für Momente ziemlich wirkungsvoll anerzählt. Etwa, wenn Othello des nachts mit Jago an der Dschungel-Bar hängt und die Ironie Pause macht. Wenn der fremde General von dem Intriganten mit Siebzigerjahre Porno-Bart immer tiefer in die Eifersucht verstrickt wird. Wenn sich der weiße General selbst anbrüllt, dass Desdemona treu sei – und doch schon längst im Tarnnetz des Zerstörers Jago gefangen ist. Der fordert zum Schluss Othello ganz offen zum Mord auf, wenn er denn will – „alle, auch das Publikum erwarten das von dir“.

Der Schwarze wird erst zum Schwarzen gemacht, schon klar, da schimmert sie dann wieder durch, die verdammte Korrektheit – und die Mordszene ist dann gleich ganz gestrichen. Zu ungeheuerlich erscheint Fiedler dieser Plot, in dem der fremde General seine Geliebte ermordet – und wie im Fieberwahn Jagos intrigante Frau Emilia gleich dazu. In Hannover überschütten sich alle einfach gegenseitig mit rotem Kunstblut und liegen dann zusammengesackt auf einem Leichenberg im Armee-Zelt. Die Kamera, die alles, was im Zelt passiert nach draußen überträgt, zeigt nur noch den grinsenden Jago, der den Abend mit einem Wort beendet: „black“. Alexander Kohlmann

„Othello“ – nach William Shakespeare von Soeren Voima: Nächste Aufführungen am 15. 2., 2. 3. & 6. 3., Junges Schauspiel Hannover, Ballhof Eins

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