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PortraitEtwas älterer Kosmonaut

Er wäre gern ganz nach Russland gezogen, bekannte Sigmund Jähn vor einigen Jahren. Seine Frau allerdings wäre weniger begeistert gewesen, ließ er durchblicken. Und so blieb das Kosmonautenausbildungszentrum nordöstlich von Moskau nur Jähns langjähriger Arbeitsplatz.

1976 zog der damalige NVA-Kampfpilot erstmals in die Siedlung, um sich, streng geheim, auf seine Mission vorzubereiten. Moskau hatte mit dem „Interkosmosprogramm“ seinen Satellitenstaaten einen Spalt in den Himmel geöffnet. Am 26. August 1978 tönte das Neue Deutschland: „Erster Deutscher im All – ein Bürger der DDR“. Die SED hatte es aller Welt gezeigt, sogar im Kosmos war die DDR der leistungsfähigere deutsche Staat.

Was folgte, war reichlich Polit-Brimborium. Jähn funkte Grußtelegramme, stempelte Briefe und beschwor den deutsch-sowjetischen Bruderbund. Nach der Landung am 3. September veredelte die SED-Spitze den gelernten Buchdrucker vollends zu einem sozialistischen Heros, mit Orden behängt, herumgereicht und wie ein Außerirdischer bestaunt. Jähn, dem der Personenkult sichtlich unangenehm war, fand schließlich seine Nische am Zentralinstitut für Physik der Erde in Potsdam.

Den Untergang der DDR überstand Jähn dank seiner exzellenten Kenntnisse der sowjetischen Raumfahrt ohne größere Blessuren. Durch Vermittlung seines Freundes Ulf Merbold, 1983 „erster BRD-Bürger“ im All, wurde Jähn Berater der Europäischen Weltraumorganisation ESA für die Zusammenarbeit mit Russland. Die ESA schätzte dabei nicht nur Jähns Expertise, sondern auch seine Fähigkeit als Kulturmittler.

Kein Wunder, dass Jähn mit sämtlichen deutschen Astronauten, von Merbold bis Ale­xander Gerst, per du ist. Alle zwei Jahre lädt Jähn zu Raumfahrttagen ins Vogtland ein. Dann ist sein Heimatdorf Mekka zahlloser Hobby-Astronomen. Im Bierzelt erörtern sie mit deutschen Astronauten, ESA-Offiziellen und russischen Experten etwa die Risiken einer Marsmission. Nebenbei gibt Sigmund Jähn stoisch Autogramme. Heute wird Sigmund Jähn 80 Jahre alt. Sicher hätte er darauf gern im Sternenstädtchen angestoßen.

Thomas Gerlach

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