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Was für ein Vorschlaghammer, dieser Film!

Atomare Apokalypse Konstantin Lopuschanskis „Briefe eines toten Mannes“ (Retrospektive)

Figur wie bei Hieronymus Bosch: Konstantin Lopuschanskis Brillenträger in „Briefe eines toten Mannes“ Foto: DEFA-Stiftung / Nikolai Pokoptsew

Kniehoch steht das Wasser, einzelne Papierseiten schwimmen umher, überall alte Stühle, aufgeweichtes Holz, Geröll. Zwei Gestalten stapfen voran. Schauderhaft anzusehen sind sie mit ihren schwarzen Ganzkörperverhüllungen aus Gummi, den ungeschlachten Mänteln, den bizarren Gasmasken. Figuren, die man in einem Bild von Hieronymus Bosch vermuten könnte. Der eine immerhin hat glänzende Laune: Er habe über die Idee des anderen nachgedacht, dass die Welt ja nun nicht ernsthaft an ihr Ende kommen könne. Eine hinreißende, wenn auch dumme Idee. Schon Jesus war schließlich auf die Erde gekommen, um die Verdammten zu retten – verdammt sei die Menschheit somit seit jeher gewesen. Die Irren, die Propheten und Wahrsager hatten einfach schon immer recht gehabt: Die Welt werde untergehen und untergegangen ist sie nun auch, ganz so, wie es geschrieben stand.

Das Bild zieht danach auf und enthüllt eine monumentale Tristesse, wie sie im Science-Fiction-Kino ihresgleichen sucht: Ein schier endloser Saal zeigt sich, vollgestopft bis an die Decke mit moderndem, klammem Papier. All das Wissen der Menschheit, mit dem sie gegen ihr Verschwinden angeschrieben hat, all das schriftlich fixierte Bewusstwerden von Welt, dem Mahlstrom der Zeit abgerungen: dem Verrotten endgültig preisgegeben, Klumpatsch.

Nur eine Szene von ziemlicher Wucht aus Konstantin Lopuschanskis 1985 unter Mithilfe des Science-Fiction-Autors Boris Strugatzki entstandener Postapokalypse „Briefe eines toten Mannes“, den die Berlinale in ihrer Science-Fiction-Retrospektive stilecht von einer alten 35mm-Kopie in herrlichen Sepiatönen zeigt – eine tolle Wiederentdeckung! An Bildern von solcher Wucht, aufgeladen mit viel Kultur-, Geschichts- und Geisteskryptik herrscht darin kein Mangel. Aus gutem Grund: Zuvor arbeitete Lopuschanski als Assistent von Andrei Tarkowski bei den Dreharbeiten zu dessen Strugatzki-Verfilmung „Stalker“. Dass sich Lopuschanski am Texturenreichtum und Stil der Filme seines Lehrmeisters orientiert, wäre fast schon eine Untertreibung: Die „Briefe eines toten Mannes“ suchen sichtlich um Anschluss ans monolithische Werk des Sowjetfilm-Großkünstlers. Doch wo Tarkowski seine Kamera meditativ lange ruhen lässt und sich in den Trostraum der klassischen Musik zurückzieht, zielt Lopuschanski vielmehr auf den großen melodramatischen Affekt.

Die Geschichte tastet im Diffusen, wichtiger ist das Szenario als solches: In einer nicht allzu fernen Zukunft hat sich die Menschheit mit nuklearen Mitteln endlich das Licht ausgeblasen. Die versprengten Reste der Bevölkerung sind von der verstrahlten Erdoberfläche ins Innere des Planeten geflohen, wo sie über die fatale Geschichte der einst so vielversprechenden Menschheit sinnieren und Grundsatzfragen über Gott, den Menschen und die Rolle des technischen Fortschritts wälzen – eine Philosophie des Weltuntergangs, beobachtet bei ihrer Verfertigung.

Der drängende Furor des Films, seine christliche Metaphysik grenzen mitunter ans Parodistische, beeindrucken aber in ihrer kompromisslosen Zuspitzung. Wo US-amerikanische Kino-Apokalypsen aus Gründen der Markteffizienz ihren Weltuntergängen eben doch immer ein Stück Unterhaltsamkeit unterheben müssen, schöpfte die sowjetische Filmkunst jenseits des Markts beherzt aus den Vollen. Am Ende schließlich stehen Auszüge aus dem berühmten Russell-Einstein-Manifesto, in dem die namhaften Wissenschaftler 1955 vor den Gefahren der Atomtechnologie warnten. Kurz nach dem Ende der Dreharbeiten ereignete sich das Reaktorunglück von Tschernobyl.

Thomas Groh

18. 2., Zeughaus-Kino, 16.30 Uhr

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