: Nicht einfach nur rechnen
Nach Pisa haben Bremer LehrerInnen „Mathe im Blick“ – Experimente und realer Bezug sollen Spaß an Mathematik und Naturwissenschaft wecken. Kinder sind nicht „Mängelwesen“, denen man etwas eintrichtern muss
„Kinder denken immer vernünftig. Nur halt nicht so, wie Erwachsene es erwarten“. Der Mathematiker Christoph Selter fordert neue Zugänge zur Mathematik für LehrerInnen und SchülerInnen. Auf einer Fortbildungsveranstaltung mit dem Titel „Mathe im Blick“, die das Bremer Landesinstitut für Schule (LIS) in Kooperation mit der Uni Bremen organisiert hat, erklärt er Bremer LehrerInnen das neue Konzept.
Hintergrund ist natürlich die Pisa-Studie. Obwohl die Bremer Schüler sich in der zweiten Runde gerade bei den Naturwissenschaften merklich verbesserten, sind sie im Bundesvergleich immer noch Schlusslicht. Der Bildungssenator hat eine „Mathematikoffensive“ gestartet. Am Engagement der Bremer LehrerInnen liegt es offenbar nicht: Obwohl die Fortbildung im LIS außerhalb der Arbeitszeit lag, herrschte großer Andrang.
Der promovierte Mathematiker Selter war selber einmal Grundschullehrer. Er möchte erreichen, dass Kinder nicht als „Mängelwesen“ angesehen werden, denen man etwas eintrichtern muss. Kinder besäßen eine natürliche Fähigkeit zu logischem Denken. Seine Studien zeigten aber, das diese natürliche Vernunft der Kinder durch falsche Unterrichtskonzepte in der Grundschule gleichsam betäubt wird. Beispiel: die „Kapitänsaufgabe“. „Auf einem Schiff sind 20 Schafe und 10 Ziegen. Wie alt ist der Kapitän?“ Während 90 Prozent der Kindergartenkinder diese unlösbare Aufgabe auch als solche erkennen („Ich kann doch nicht hellsehen!“), rechneten schon im zweiten Schuljahr die meisten Kinder einfach irgendwas aus – sie verhalten sich erwartungskonform, anstatt selber zu denken. Die fertigen Rechenstrategien, die sie gepaukt haben, führten bei den Kindern zu der Annahme, dass bei allen Aufgaben gerechnet werden muss – mit Logik hat das nichts zu tun. Kreativ sind sie dann wieder in der Interpretation der unsinnigen Ergebnisse. Den idealen Mathematikunterricht fasst Selter so zusammen: „Entdecken, beschreiben, zusammenarbeiten.“
Das Ziel: Die Kinder sollen „prozessbezogene Kompetenzen“ erwerben. Mit praktischen mathematischen Experimenten werden die Kinder zum Nachdenken angeregt. So können beispielsweise durch „Zahlenmauern“, bei denen jeweils die nächst höhere Stufe aus den Summen der darunter liegenden Zahlen gebildet wird, die Verhältnisse von Zahlen veranschaulicht werden. Die wichtigste Frage ist hierbei nicht „Was kommt heraus?“ sondern „Was fällt dir auf?“ – LehrerInnen sollen mit den SchülerInnen über Beobachtungen sprechen, die Schüler erarbeiten sich die mathematischen Grundlagen praktisch selbst.
In diesem Zusammenhang ging Selter auch auf das so genannte „Stationenlernen“ ein. In dieser offenen Unterrichtsform wird ein Thema, beispielsweise „Addition und Subtraktion“, in Teilgebiete unterteilt, die die Schüler an verschiedenen Stationen selbstständig bearbeiten. Positiver Nebeneffekt: die Stationen können an unterschiedliche Lernniveaus angepasst werden. Während schwächere SchülerInnen so den Anschluss nicht verlieren, können sich weiter Fortgeschrittene mit komplizierteren Aufgaben gefordert werden.
Die Anregungen wurden von den anwesenden GrundschullehrerInnen gerne aufgenommen. „Wenn man an jedem Morgen vor der Klasse an seine Grenzen stößt, muss man ja etwas ändern“ sagte eine Mathematiklehrerin. Mit Frontalunterricht könne sie ihre Klasse nicht mehr erreichen. Die Kinder hätten eine sehr unterschiedliche Vorbildung – und oft sprächen sie nur schlecht deutsch. Ein Unterricht, der auf den Fähigkeiten der Kinder aufbaut und der intuitiv verständlich ist, könnte auch diese Problematik zumindest ein wenig entschärfen. ace