Faule Tomaten im Brotkorb von Afrika

Uganda hat eine florierende kleinbäuerliche Landwirtschaft. Trotzdem sind 15 Prozent der Bevölkerung chronisch unterernährt

Der Welternährungsgipfel der UN-Agrarorganisation FAO und des Welternährungsprogramms WFP tagt vom 16. bis 18. November in Rom. Es geht um die globale Ernährungssicherheit.

■ Der Hunger auf der Welt nimmt rapide zu. Laut FAO hat die Zahl der chronisch Hungernden auf der Welt dieses Jahr erstmals die Marke von 1 Milliarde Menschen überschritten und steigt so schnell wie nie zuvor. In Afrika hungern 265 Millionen Menschen – ein Viertel der Gesamtbevölkerung.

■ Uganda, gesegnet mit gutem Klima, fruchtbaren Böden und zwei Ernten im Jahr, gilt als „Brotkorb“ Ostafrikas. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft floriert, das Land ist Lebensmittelexporteur. Doch 15 Prozent der 31 Millionen Einwohner sind chronisch unterernährt. Die Bevölkerung wächst um 3,4 Prozent pro Jahr, jede Frau hat durchschnittlich 7 Kinder.

AUS KAMPALA SIMONE SCHLINDWEIN

Rose Matembo zählt sorgfältig die Münzen, die bei jedem Schritt in der Tasche ihrer Schürze klimpern: Mit 5.000 ugandischen Schilling, umgerechnet 1,80 Euro, muss die junge Mutter heute ihre zwei Kinder satt bekommen. Das Geld hat sich die 24-Jährige am Morgen durch Wäschewaschen verdient, obwohl sie hochschwanger ist und sich kaum mehr bücken kann. Trotz Rückenschmerzen macht sie sich anschließend auf den Weg zum Markt in das fünf Kilometer entfernte Dorf Ggabba. Sie geht zu Fuß, um die 20 Cent für den Minibus einzusparen. Sie weiß: Am Ende des Tages wird keine Münze übrig sein, um bis zu Beginn des nächsten Monats die umgerechnet 10 Euro Miete für ihre Lehmhütte abzustottern. Das kleine Dorf Ggabba liegt rund zehn Kilometer außerhalb der ugandischen Hauptstadt Kampala, am Ufer des Victoriasees. Die Häuser entlang der einzigen asphaltierten Straße, die an der Bootsanlegestelle neben dem Marktplatz endet, bestehen aus selbstgebrannten Ziegeln. Verrostete Wellbleche dienen als Hausdächer. Die Fischer, die in Ggabba leben, gehören zu Kampalas Unterschicht.

Eine Musikanlage beschallt den Marktplatz, die Lautsprecher sind voll aufgedreht. Ein Ananasverkäufer versucht, mit lauten Rufen die Musik zu übertönen: „Heute nur 2.000 Schilling“, brüllt er in die Menge – für Matembo unerschwinglich. Bedächtig schlängelt sie sich zwischen den überfüllten Marktständen hindurch, steigt über Bananenstauden auf dem schmutzigen Sandboden, hüpft über ein Rinnsal brauner Brühe, das unter den Marktständen hindurch in den See zurückfließt. Es riecht nach Fisch, vergammelten Abfällen und frischen Tomaten. Doch die sind für Matembo in dieser Saison zu teuer.

Schlechte Tomatenernte

Der Preis pro Tomate habe sich innerhalb von einem Jahr verdoppelt, seufzt Robina Nagombe. Die füllige Frau mit den tiefen Falten um die Augen hockt auf einem kleinen Schemel neben ihrem Gemüsestand. Sie hat ihre Waren am frühen Morgen auf dem Großmarkt in der Innenstadt ersteigert und in Holzkisten per Motorradtaxi nach Ggabba liefern lassen. Sorgfältig sortiert sie nun die kleinen und verfaulten Tomaten aus der Kiste aus und wirft sie in eine Plastikschalte – viele sind verfault in dieser Saison. Die Ernte ist, bedingt durch die anhaltende Trockenheit, schlecht ausgefallen. Die wenigen guten Tomaten türmt sie aufeinander – die braunen Druckstellen nach unten, damit sie nicht auffallen. Seit mehr als zehn Jahren verkauft Nagombe hier auf dem Markt jeden Tag Tomaten, Auberginen, Karotten. Doch noch nie waren die Preise so hoch wie in diesem Jahr: 200 Schilling kostet eine Tomate, umgerechnet 7 Cent. Vor einem Jahr verlangte sie nur die Hälfte. Sie seufzt: Kunden wie Matembo können sich das frische Gemüse nicht mehr leisten. Nagombe bleibt dann auf ihren Waren sitzen – noch dazu faulen die Tomaten derzeit innerhalb von einem Tag dahin und sind ungenießbar, ein Verlustgeschäft für Nagombe.

Händler Wilson Kanyani am Stand nebenan hat deswegen schon komplett auf nichtfrische Waren umgesattelt. Der junge Mann steht zwischen Säcken voller Reis, Erbsen, Bohnen und Maniok-Mehl. Mit einer Plastiktasse schöpft er Reis aus dem Sack und füllt damit eine Plastiktüte. Für rund 70 Cent verkauft er das Kilo in dieser Saison, vergangenes Jahr verlangte er noch 85 Cent. Der Grund: Viele Bauern im Südwesten Ugandas, von wo Kanyani seine Waren geliefert bekommt, bauen vermehrt Reis und Bohnen an. Auch in der Konfliktregion in Norduganda wird nun wieder Reis ausgesät. Das Angebot ist hoch, die Preise sinken. Dies führt dazu, dass arme Mütter wie Matembo täglich nur noch Reis und Bohnen kochen – dies führe zu Eiweiß- und Vitaminmangel, warnt das Gesundheitsministerium in einer kürzlich geschalteten Zeitungsannonce.

Fisch täglich teurer

Doch auch der Fisch aus dem Victoriasee, traditionell der wichtigste Eiweißlieferant, wird täglich teurer. Eben kommt Fischhändler Peter Sebagala von der Auktion an der Bootsanlegestelle zurück. Er hievt die Holzkiste mit dem Tilapia-Barsch auf den Holztisch gegenüber von Nagombes Gemüsestand. Seine Angestellten machen sich eilig daran, den Fisch in Filets zu schneiden. Sebagala guckt zweifelnd. Umgerechnet 3 Euro hat er heute bezahlt. Vor einem Jahr kostete das Kilo noch 2,50 Euro. „Der See ist fast leer gefischt“, murrt er. Täglich sinke das Angebot – gleichzeitig steige die Nachfrage seiner Kunden. Sebagala beliefert die neuen Supermarktketten in Ruanda und Kenia. „Ich schicke auch jede Woche Transporter voll mit getrocknetem Fisch nach Südsudan“, lächelt er. Dort bezahlen seine Abnehmer in Dollar. Das spült harte Währung in seine Kassen. Dennoch: Für seine ugandischen Kunden wie Matembo ist der Fisch bereits unerschwinglich – drei Kilo Fisch entsprechen ihrer Monatsmiete.

Das ostafrikanische Land, bekannt für sein gutes Klima und mehrfache Ernten im Jahr, galt in den 70er-Jahren als „Brotkorb“ der Region. Die Gründe für die heutigen Preissteigerungen sind vielfältig: Die rasende Verstädterung führt auch in Afrika zu einer hohen Nachfrage und geringem Angebot. Immer weniger Menschen haben einen eignen Gemüseacker. Zudem wächst die Bevölkerungszahl in großem Tempo – jährlich um 3,2 Prozent, die höchste Wachstumsrate weltweit. Gleichzeitig zerstören häufiger auftretende Trockenzeiten, angeblich bedingt durch den weltweiten Klimawandel, Teile der Ernte. Das Angebot geht zurück.

Der Muezzin ruft im Morgengrauen über die Dächer der ugandischen Hauptstadt Kampala. Hier, auf dem Großmarkt in der Innenstadt, handeln Bauern und Gemüsehändler wie die Marktfrau Nagombe die Preise für Tomaten, Ananas, Reis und Bohnen aus – ein knallhartes Geschäft auf dem Hungerkontinent Afrika.

Bauer Emma Kitaka steht auf der Ladefläche seines Kleinlasters, am Rande des geschäftigen Marktplatzes in Kampala. Seine Brüder und Söhne entladen die Holzkisten mit Tomaten, Mais und Melonen: „Frische Tomaten für 80.000 Schilling pro Box“, brüllt er über die Köpfe der Händler hinweg, umgerechnet 28,70 Euro für 100 Kilo Tomaten. Bauer Kitaka hat es dieser Tage nicht leicht. Die Ernte sei schlecht ausgefallen, es habe zu wenig geregnet, sagt er: „Ich musste oft gießen, damit die Tomaten nicht ganz eingehen.“ Er seufzt – und hofft, mit einem höheren Preis die zusätzlichen Ausgaben für das Wasser wettzumachen. Der Kleinbauer hat es nicht einfach. Sein ein Hektar großer Betrieb liegt 120 Kilometer außerhalb der Hauptstadt. Die Straße ist schlecht, die Benzinpreise hoch – die Kosten für jeden geplatzten Reifen, für jeden Liter Sprit muss er auf die Tomaten aufschlagen.

Saphina Mirembe kämpft sich durch das Gewühl. Die 22-Jährige ist auf der Suche nach den billigsten und besten Tomaten. Sie benötigt heute auch Kartoffeln, Mango und Zucchini für ihren Stand außerhalb eines indischen Supermarktes im Vorstadtviertel Kansanga, entlang der Straße nach Ggabba. Dort kauft die ugandische Mittelschicht ein, die sich das frische Gemüse zwar noch leisten kann, aber auch Qualitätsansprüche erhebt.

Die junge Frau, aufgewachsen auf dem Hof ihres Vaters, kennt die Tricks von Bauer Kitaka. Deswegen bohrt sie ihre Hand tief in die Tomatenkiste: „Er versteckt die angefaulten Tomaten unten und legt die schönen reifen Tomaten obendrauf“, zwinkert sie und zieht eine braun-matschige Tomate hervor. Sie verdreht die Augen: „Die kauft mir doch keiner ab“, murmelt sie. Mirembe muss bei der Auswahl besonders vorsichtig sein. Die Mittelschicht, die mit dem Auto vor dem Supermarkt vorfährt, gibt sich nicht mit faulen Früchten zufrieden. „Die bezahlen lieber mehr“, sagt sie. Aber lange kann auch sie mit der Preisspirale nicht mehr mithalten. „Selbst die gut betuchte Mittelschicht Kampalas beschwert sich schon über den Preisanstieg“, seufzt sie.

Doch das soll sich in Zukunft bald ändern, ist Peter Lusembo überzeugt. Der Direktor der ugandischen Agrarforschungs-Organisation hockt in einem Plastikstuhl in seinem Straßencafé direkt neben dem indischen Supermarkt in Kansanga, vor welchem Mirembe ihre rot glänzenden Tomaten verkauft. Auch er hat sich bei seinem Einkauf über die Tomatenpreise gewundert, aber der Agrarökonom ist sich sicher: Die hohen Preise bereiten zwar kurzfristig vielen Ugandern Schwierigkeiten. Doch: Es sei der einzige Weg, die Landwirtschaft langfristig zu modernisieren. Die vermehrte Nachfrage kurble die Produktion an, indem die Kleinbauern auf kommerzielle Anbaumethoden umrüsten. Bei einem höheren Angebot würden dann auch die Preise wieder purzeln. Lusembo bezeichnet deswegen die Verstädterung und das Bevölkerungswachstum in Uganda und in den umliegenden Ländern als „Segen“. Sein Fazit: „Endlich haben wir einen gigantischen Markt zu sättigen.“

15-Jahres-Plan

Die Regierung hatte im Jahr 1997 einen 15-Jahres-Plan zur Modernisierung der Landwirtschaft verabschiedet: Ziel ist es, die Subsistenzwirtschaft abzuschaffen und mit Hilfe industrialisierter Betriebe die Lebensmittel-Produktivität bis 2012 um mindestens 50 Prozent zu erhöhen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde Lusembos Forschungsinstitut gegründet: Veterinärmediziner kreuzten deutsche, hochproduktive Milchkühe mit ugandischen Kühen, die zwar weniger Milch geben, dafür aber an die lokalen Gegebenheiten gewöhnt sind. Das Ergebnis: Die Milchproduktion verdoppelte sich in den vergangenen Jahren. In Norduganda wurde die neue Reissorte Nerica III ausgesät, eine Kreuzung von afrikanischen und asiatischen Reissorten, die höheren Temperaturen und längeren Trockenperioden standhält. Die Wissenschaftler experimentierten mit Maniok- und Maisarten, die weniger Wasser benötigen. Und mit Kaffee- und Matokesorten, die gegen Schädlinge resistent sind.

Lusembo ist sich sicher: Wenn die Regierung die Steuern für Bauern senken würde und in Zukunft 10 Prozent anstatt nur 4,5 Prozent des Staatshaushalts in den Agrarsektor investieren würde, könnte Uganda bald mehr Lebensmittel produzieren, als Ostafrika benötigt. Seine ehrgeizige Vision: ugandische Ananas, Bananen und Mango nach Europa zu exportieren. Auf seinen Reisen nach Deutschland hat Lusembo eine Marktlücke für Uganda entdeckt: Bioprodukte, die ohne Dünger angebaut werden. Denn: „Wir haben so guten Boden, wir benötigen ohnehin keine Chemie“, zwinkert Lusembo vielversprechend. „Der biologische Anbau ist für uns definitiv der richtige Weg.“ Doch dann zählt er seufzend die Regulierungen der Europäischen Union auf: die Größe der Ananas, die Länge der Gurken. Er fragt sich: Wie soll ein ugandischer Bauer verstehen, dass seine Bananen eine bestimmte Krümmung aufweisen müssen, um nach Europa verschifft zu werden?