: Kein Anspruch auf Beschulung
AUSBILDUNG Für Geflüchtete ist es schwer, eine Ausbildung zu absolvieren. Der Grund dafür liegt an mangelnden Bildungsangeboten zum Erlangen der Ausbildungsreife
von Lukas Thöle
Ibrahim Amine sitzt in der ersten Reihe, direkt vor dem Rednerpult. Seine Beine zittern vor Aufregung, denn gleich wird man ihn aufrufen. Aber als er sein Zeugnis entgegennimmt, ist die Anspannung einem breiten Lächeln gewichen. Amine steht vor seinen Freunden und strahlt. Dreieinhalb Jahre ist es her, dass der 22-Jährige die Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker begonnen hat. Zwei Jahre zuvor floh er von Ghana nach Deutschland.
Amine gehört zu jenen elf Geflüchteten, die im Januar ihre Ausbildung an der Berufsschule für Metalltechnik im Bremer Stadtteil Oslebshausen abschlossen. In Zukunft arbeiten die frischgebackenen Gesellen für Unternehmen wie Mercedes-Benz, die Bremer Straßenbahn AG (BSAG) oder Lürssen. Der Weg dahin war hart: „Man muss kämpfen und darf das Ziel nie aus den Augen verlieren“, sagt Amine.
Den Betrieben fehlen Azubis: Im Oktober 2016 waren deutschlandweit 43.500 Stellen unbesetzt, bei gleichzeitig 20.500 Personen ohne Ausbildungsplatz. Helfen sollen die Geflüchteten: „Wir werden von den ausbildenden Betrieben direkt angesprochen“, sagt Sigmar Walbrecht vom niedersächsischen Flüchtlingsrat. Das Bäckerhandwerk suche händeringend nach Lehrlingen, auch der Bedarf an Pflegekräften sei hoch. Auf 100 ausgeschriebene Stellen in der Fahrzeugführung kommen laut Agentur für Arbeit nur 46 Bewerbungen.
Die BSAG bildet derzeit drei Geflüchtete im Fahrbetrieb und als Mechatroniker aus. Drei weitere geflüchtete Personen werden in einer sogenannten Erstqualifizierung auf ihre Ausbildung vorbereitet. „Unsere bisherige Erfahrungen sind positiv“, sagt BSAG-Sprecher Andreas Holling. Auch das Bremer Werk von Mercedes-Benz bildet drei geflüchtete Personen aus, in einem Brückenpraktikum arbeiteten bisher 74 Geflüchtete. Daimler-Sprecherin Kathrin Schnurr sagt: „Sie zeigen ein hohes Maß an Einsatzbereitschaft.“
Daran zweifelt Abteilungsleiter Torsten Magnus von der Bremer Berufsschule für Metalltechnik nicht: „Mangelnde Praxis war nie das Problem, sondern sprachliche Schwierigkeiten.“ Laut Schulleiterin Andrea Fidan gebe es noch immer Probleme bei Wörtern wie „Keil“ oder „Fuge“.
Fidan sieht in Bremen zwar eine „große Lücke“ zwischen Angebot und Nachfrage bei Ausbildungsplätzen, sie könne aber auch die Befürchtungen der Betriebe verstehen. „Der Aufwand wird häufig unterschätzt“, sagt sie hinsichtlich der mit dem Fluchtstatus verbundenen Bürokratie. Martina Jungclaus, Geschäftsführerin der Bremer Handwerkskammer, ergänzt: „Die kulturellen Unterschiede erfordern von allen Toleranz und Lernwillen.“ Dennoch: „Die Betriebe würden gerne mehr Lehrlinge ausbilden“, sagt Ute Kretschmann, Sprecherin der Hamburger Handwerkskammer.
Laut einer aktuellen Studie vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wollen 66 Prozent der Geflüchteten in Deutschland einen Hochschul- oder berufsbildenden Abschluss erwerben. Markus Saxinger vom Bremer und Bremerhavener Integrationsnetz (BIN) sieht zumindest Ausbildungsplätze in „ausreichender“ Zahl vorhanden.
Eine Arbeitserlaubnis können Geflüchtete nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland beantragen.
Geflüchtete in Ausbildung werden für diese Zeit und zwei Jahre nach Abschluss nicht abgeschoben.
58 Geflüchtete hat das Jobcenter Bremen von Februar bis September 2016 in Ausbildungen vermittelt
250 Geflüchtete fanden laut Bremer Handwerkskammer in den vergangenen zwei Jahren eine Arbeit in Bremer Unternehmen.
Der Hamburger Handelskammer sind 182 aktive und 15 künftige Ausbildungsverträge von Personen aus den fünf asylzugangsstärksten Herkunftsländern bekannt: Afghanistan: 123 (+ 10), Syrien: 24 (+5), Iran: 16, Eritrea: 13, Irak: 6.
Genauere Angaben sind schwierig, da der Fluchtstatus aus Datenschutzgründen nur selten erhoben wird.
So versprach das Bremer Finanzressort vor einem halben Jahr, zusammen mit Handels- und Handwerkskammer 100 neue Ausbildungsplätze zu schaffen. Diese wurden jedoch nicht vollständig besetzt. Saxinger sieht den „Hauptknackpunkt“ in der fehlenden Ausbildungsreife und macht dafür Defizite in der Bildungslandschaft verantwortlich: „Ein Anspruch auf Beschulung bis zur Berufsbildungsreife besteht nicht“, so Saxinger. Sigmar Walbrecht bestätigt die Erfahrungen des BIN. Es dauere oft viele Jahre, bis Geflüchtete eine Ausbildung begännen. Er sagt: „Der Schulbesuch ist die einfachste Art, die Ausbildungsreife zu erhalten.“ Eine Schulpflicht sei daher auch für volljährige Geflüchtete wichtig. In strukturschwachen Regionen scheitere der Kursbesuch aber schon an der schlechten Verkehrsanbindung.
Einige Unternehmen reagieren bereits: In Bremen bietet das Bildungshaus des IT-Unternehmens HEC ab diesem Monat eine Weiterbildung an. Fachbezogener Deutschunterricht begleitet das Projekt. Der Bremer Flüchtlingsrat sieht das positiv: „Wir begrüßen sehr, dass ein qualifizierter Bildungsträger den Sprachunterricht anbietet“, sagt dessen Sprecher Marc Millies. Der Elbcampus der Hamburger Handwerkskammer hat im Januar den neuen Lehrgang „Technik – Umwelt – Deutsch“ vorgestellt. Das Projekt will Geflüchtete integrieren und ihre Kenntnisse für die Energiewende nutzen.
Ibrahim Amine hat diese Sorgen bereits hinter sich und konzentriert sich auf seine berufliche Zukunft. Anfang Februar hat er eine Stelle bei der Firma Boysen in Achim angetreten. Das Unternehmen baut Abgasanlagen für Mercedes-Benz.
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