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Schrödingers Gehaltserhöhung

AUSBEUTUNG Das Oldenburger Theater Wrede zeigt Georges Perecs ausufernde „Kunst, seinen Chef anzusprechen und ihn um eine Gehaltserhöhung zu bitten“ als manisch-wuchernden Monolog

Selten hat jemand so euphorisch darüber gesprochen, ausgebeutet zu werden. Im Oldenburger Theater Wrede gibt Marga Koop derzeit ein einstündiges Seminar „Über die Kunst, seinen Chef anzusprechen und um eine Gehaltserhöhung zu bitten“. Dass diese in keinem Augenblick wirklich realistisch ist, wirkt dabei gar nicht so absurd, wie man annehmen könnte.

Als Mitglied der Oulipo-Gruppe unterwarf der französische Schriftsteller Georges Perec (1936 – 1982) sein Schreiben formalen Zwängen. So verfasste er einen ganzen Roman ohne den im Deutschen wie im Französischen häufigsten Vokal „e“. In einem anderen Werk wird das „e“ dann zum einzigen Vokal. „Über die Kunst, seinen Chef anzusprechen“ ist ein Pseudo-Ratgeber, der auf über 100 Seiten ohne Punkt, Komma und Großschreibung die scheinbar beste Strategie erörtert, seinen Chef um eine Gehaltserhöhung zu bitten. Die dabei aufgestellten Hypothesen führen in Form eines Baumdiagramms letztlich nur zu immer neuen Denkschleifen, nicht aber zur erhofften Gehaltserhöhung. Alle Wege enden im Papierkorb.

Um das Werk auf die Bühne zu bringen, ergänzt Regisseurin Gudrun Lelek die notwendigen Sprechpausen, bleibt aber davon abgesehen nah an der Vorlage. Als Setting wählt Lelek ein Karriere-Coaching: Die ZuschauerInnen sitzen mit Rotwein, Stift und Papier an Tischen, Marga Koop verfügt über ein Flipchart sowie einen Stehtisch mit einem Glas Wasser. Diese Inszenierung soll die sogenannte vierte Wand zum Publikum durchbrechen. Dabei wirkt die Sinnlosigkeit besser, wenn die Gedankengänge mit Distanz betrachtet werden.

Dass die Umsetzung als Seminar nicht so recht zünden will, liegt nicht an der schauspielerischen Leistung. Koop gelingt es, die manische Begeisterung ihrer Rolle zu spielen. Sie arbeitet wirklich gern für ihren Konzern. Und es ist ebenso glaubwürdig, wenn sie für wenige Sekunden scheinbar den Faden verliert und merkt, dass ihr sorgfältiges Abwägen sie ihrem Ziel nicht näher bringt. In diesen Momenten bröckelt die Fassade der glücklichen Angestellten.

Aber nicht ohne Grund bitten Dozierende ihre Studierenden, Vorträge auf 20 Minuten zu begrenzen. Es ist schwierig, einem Monolog über längere Zeit zu folgen. Das muss auch Regisseurin Lelek gemerkt haben: Auf den Tischen für die SeminarteilnehmerInnen liegt das Organigramm der deutschen Buchausgabe. Wer den Faden verliert – und jedeR wird ihn verlieren – kann hoffen, ihn dort wiederzufinden.

Das Setting des Karriere-Coachings schafft es jedoch, die einzig nicht absurde Seite des Ratgebers zu zeigen. Leider wird in Oldenburg nicht erwähnt, wer dieses Seminar anbietet. Sagen wir, um die Sache zu vereinfachen – denn man muss immer vereinfachen –, dass ein Unternehmen wie Google oder Apple dahintersteht. Diese Unternehmen wollen jung und dynamisch, ja anders sein. Deutsche Start-Ups eifern ihren Idolen aus dem Silicon Valley nach.

Wenn ein solcher Konzern nun ein Seminar anböte, das eine Gehaltserhöhung unmöglich erscheinen lässt, aber gleichzeitig die Liebe zum Arbeitgeber festigt, dann wäre das überhaupt nicht absurd, sondern aus Sicht des Unternehmens ein äußerst sinnvoller Schachzug.

Ganz im Sinne des Unternehmens bleibt es am Ende bei der Gehaltserhöhung wie bei dem quantenphysikalischen Gedankenexperiment mit Schrödingers Katze: Sie ist da und gleichzeitig nicht da. Solange man den Chef nicht anspricht, existiert zumindest die Hoffnung auf eine Gehaltserhöhung weiterhin. Aber wie schon Nietzsche erkannte, verlängert Hoffnung nur die Qual der Menschen.

Lukas Thöle

4. und 10. Februar, 20 Uhr sowie 27. und 28. April, 19 Uhr, Theater Wrede, Klävemannstraße 16, Oldenburg

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