Kolumne Warum so ernst?: Niederlage

Ich wünsche mir eine friedliche Heimat, dass ich meine Eltern bald sehe, in Deutschland bleiben und Kebab essen kann.

Ein Bierglas auf dem Tresen. Von oben aufgenommen, also Blick ins Glas

Ich vergeude meine Freizeit in Bars, auf Fiestas und mit sonstigen Sinnlosigkeiten Foto: photocase/misterQM

Gestern saß ich in der Bar mit einer jungen deutschen Frau zusammen, und das ist für mich ein besonderes Ereignis. Es ist nicht selbstverständlich, dass eine junge deutsche Frau mit unsereins in einer Bar sitzt.

Bescheuert wie ich bin, zahlte ich ihr Bier mit. Ich versuchte, als Erster die Initiative zu ergreifen, um mit ihr ins Gespräch zu kommen. Ich suchte ein Thema und fand es.

Ich fragte: Na, was wünschst du dir fürs neue Jahr?

Sie antwortete: Ich wünsche mir, dass ich in diesem Jahr pünktlich zur Arbeit und zu meinen Verabredungen erscheine. Ich bin nämlich unpünktlich. Ich komme manchmal fast fünf Minuten später.

Während ich über ihre blonde Schönheit und ihre Wünsche staunte, fragte sie mich: Und du, was wünschst du dir?

Ich richtete mich auf, bestellte noch ein Bier und fing an, meine Wünsche aufzuzählen.

Ich fing an mit den großen Katastrophen, wie dem Regime in Syrien und seinesgleichen, und fuhr ohne Unterbrechung fort: Ich wünsche mir eine friedliche Heimat, dass ich meine Eltern bald sehe, in Deutschland bleiben und Kebab essen kann. Und ich wünsche mir, dass ich mich in alle Mädchen der neuen Welt verliebe und Deutsch lerne.

Ich hörte erst auf zu wünschen, als der Kellner mich unterbrach: Wir müssen jetzt schließen. Erst da merkte ich, dass die junge deutsche Frau schon weg war. Man sagte mir, sie sei bereits nach dem ersten Wunsch gegangen.

***

In Deutschland lächele ich jeden Tag eine Million Menschen an. Amüsiert lausche ich Geschichten, für die ich in Syrien mit den tadelnden Blicken meiner Geschwister gestraft worden wäre. Ich lächele die mir bekannten und die unbekannten Passanten an. Die, die ich nicht kenne, sind in der Überzahl.

Ich lächele, wenn mich jemand über die Tagestemperaturen informiert. Wenn sich ein Hund neben mich in der Bar niederlässt, lächele ich aus Angst. Ich lächele nicht nur den Hund an, sondern auch sein Herrchen. Ich lächele Menschen an, von denen ich glaube, ihr Blick gelte mir, obwohl sie von mir keine Notiz nehmen. Ich lächele bei allem, was die Ausländer sagen.

Alles, was in meiner Anwesenheit passiert, veranlasst mich zu einem Lächeln. Ich lächele bei allen Arten von Musik und bei jedem Essen, auch wenn es mir nicht schmeckt. Ich lächele einfach sinnlos bei allem.

Lächele doch vor dich hin, denn du bist einsam und fremd.

Lächele doch vor dich hin, denn du bist schwach und geschlagen.

Gib endlich auf und lächele! Gib deine Niederlage zu und lächele!

***

Ich bin ein Versager; der schlechteste und faulste im Deutschkurs. Ich vergeude meine Freizeit in Bars, auf Fiestas und mit sonstigen Sinnlosigkeiten. Ich hocke mich für die Abendnachrichten vor die Glotze und verstehe gar nichts, als wäre ich aus China.

In den Revolutionen bin ich nur eine virtuelle Gestalt, nutzlos und überflüssig. Ich gehe durch die Straßen Berlin und beneide jede Ausländerin und jeden Ausländer um ihre Gelassenheit. Ich bin für immer und ewig gescheitert.

Allein meine Mutter denkt, ich sei tapfer und tüchtig. Meine arme Mutter!

Aus dem Arabischen: Mustafa Al-Slaiman

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Aboud Saeed wurde 1983 geboren und lebte bis November 2013 in der Kleinstadt Manbidsch in der Provinz von Aleppo im Norden Syriens. Er ist gelernter Schmied und Schweißer. 2009 eröffnete Saeed ein Facebook-Konto und hinterlässt dort täglich Einträge. Der klügste Mensch im Facebook, eine Auswahl aus seinen Statusmeldungen, ist sein erstes Buch. Er lebt seit November 2013 in Berlin mit politischem Asyl. 2015 erschien seine zweite Publikation Lebensgroßer Newsticker über sein Aufwachsen in Syrien, einem Land, das es so nicht mehr gibt.  

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.