piwik no script img

Tänze aus der Trickkiste

Oper Die britische Gruppe „1927“ hat nach dem Erfolg mit der „Zauberflöte“ an der Komischen Oper nun Musik der klassischen Moderne illustriert: „Petruschka“ von Strawinsky und „L’ Enfant et les sortilèges“ von Ravel

Nadja Mchantaf spielt das bösartige Kind in Maurice Ravels Fantaisie Lyrique, die er selbst für eine Oper hielt Foto: Iko Freese | drama-berlin.de

von Niklaus Hablützel

Suzanne Andrade, Esme Appleton und Paul Barrit sind an die Komische Oper zurückgekehrt. Seit 2005 arbeiten sie unter dem Namen „1927“, dem Jahr des ersten Tonfilms, an immer neuen Versuchen, die Techniken des Zeichentrickfilms zu Bühnenspektakeln sehr eigener Art zu verbinden. Barrie Kosky lud sie 2012 ein, ihre Kunst des Echtzeitcomics an Mozarts „Zauberflöte“ auszuprobieren. Das ­Ergebnis ist bis heute ein Kassenschlager: Die Animation einer Spinne, in deren Kopf die Königin der Nacht ihre Extremkoloratur singt, hat selbst in Schanghai und Los Angeles begeistert.

Am Samstag waren in Berlin die neuesten Zeichentricks aus der Werkstatt von 1927 zu sehen. Sie sind wieder ziemlich spektakulär und in ihrem ironisch-naivem, gekritzelten Zeichenstil auf subtile Art witzig. Und wieder gelingt es auf verblüffende Weise, in den Strudel der grafischen Animationen lebende Menschen einzubinden, die mit ihnen interagieren. Ein trauriger Clown sitzt in der Handtasche, zwei Riesenkatzen jagen eine Sängerin. Große Kunst, für die es kaum Vergleiche gibt.

Aber die zweite Auflage entzaubert auch den Reiz der „Zauberflöte“. Das Handwerk ist erkennbar geworden. Es hat in der „Zauberflöte“ verblüfft, weil es das altbekannte Werk in eine neue Dimension gerückt hat. Der Kontrast zwischen der Singspieldramatik von Mozart und der Bilderflut von 1927 sorgte für neue Perspektiven. Jetzt aber führen Orchester und Ensemblemitglieder der Komischen Oper zwei Werke auf, die der Welt von Zeichentricks in keiner Weise widersprechen. Sie scheinen vielmehr nur auf 1927 gewartet zu haben, um endlich einmal angemessen aufgeführt werden zu können.

Igor Strawinskys Ballett „Petruschka“ von 1911 erzählt von einem Gaukler, der seine Puppen spielen lässt und dabei den traurigen Clown quält und sogar tötet. Strawinky hat sein Stück mehrfach umgearbeitet und auch Versionen für den reinen Konzertbetrieb veröffentlicht. Die beiden „Petruschka“-Suiten wie auch die Klavierfassungen werden gerne und oft gespielt; als Ballett steht das Hauptwerk des Meisters jedoch kaum auf einem Spielplan.

In der Komischen Oper ist es in der Fassung von 1947 auch jetzt kein Ballett, aber immerhin wird die Handlung sichtbar. Das Karussell dreht sich auf dem Jahrmarkt, Fratzen grinsen überall. In den beiden, etwas leiser gestimmten Mittelteilen führen Pauliina Räsänen, Tiago Alexandre Fonseca und Slava Volkov akrobatische Pantomimen auf, eingehüllt in die Animationen, die mit ihnen spielen.

Nach 30 Minuten ist alles vorbei, Petruschkas Seele schwebt als weißes Gespenst über die stillstehenden Karnevalsbilder. Schön, aber Neues über dieses Schlüsselwerk der Moderne ist nicht zu sehen – und es kann sicher besser gespielt werden als hier unter der Leitung von Markus Poschner.

Es ertrinkt im Tee, im Garten lauern die Bäume, und die Tiere stellen ihm nach

Noch schwieriger ist die Aufführungslage für „L‘ Enfant et les sortilèges“. Niemand versteht bis heute, warum Ravel sein Stück für eine Oper hielt. Es ist eine filigrane, überaus elegante Kollage aus allen möglichen Stilen und Formen für Singstimmen und Orchester. Ein unartiges Kind verwüstet sein Zimmer und löst damit die Rache der malträtierten Gegenstände aus. Es ertrinkt im Tee aus der chinesischen Kanne, im Garten lauern die Bäume, und die Tiere stellen ihm nach. Am Ende wird es wieder brav und darf zu Maman zurück.

Die Idee dazu stammte von der französischen Autorin und Artistin Colette, trotzdem wird das kurze Zauberstück, das auch noch einen kompletten Chor verlangt, kaum je aufgeführt. Die Komische Oper hat es vor ein paar Jahren in ihr Kinderprogramm aufgenommen, wo es durchfiel – es ist für Kinder viel zu kompliziert.

Dieser zweite Versuch mit 1927 wird vermutlich besser bestehen, denn natürlich legen die Trickspezialisten jetzt richtig los. Das böse Kind steckt in einer Militäruniform und wird durch die tanzenden Bilder geschleift, bis es einfach nicht mehr kann. Es entstehen Szenen von starkem optischem Reiz, oft aber läuft der Bildwitz ins Leere, und bloße Ornamente enthüllen, dass Ravels Musik kaum mehr als ein Anlass war, die Artistik der Animation auszustellen. Also noch immer keine Oper, aber immerhin ist diese musikalische Kostbarkeit endlich zu hören, denn gesungen und gespielt wird so ordentlich, dass der freundliche Premieren-Applaus verdient ist.

Nächste Vorstellungen: 4., 8., 19., 29. Februar

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen