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Archiv-Artikel

Regie als Beobachtung

Würden die Schauspieler ihre Lippen nicht lautlos bewegen, man könnte sie glatt für reguläre Gäste halten. Eine Reportage aus der Friedrichshainer Kneipe „U5“, wo der Berliner Regisseur Henner Winckler eine Szene seines neuen Films „Lucy“ drehte

VON SEBASTIAN FRENZEL

Normal. Typisch. Einfach so. Das sind in etwa die Worte, die man im Kopf behält nach einem Treffen mit dem Regisseur Henner Winckler. Worte, die banaler nicht klingen könnten, die einem aber dennoch keine Ruhe lassen. Ausgestattet mit einer knappen Presseinformation hat man sich auf den Weg zum Set gemacht, an dem Winckler gerade seinen neuen Film „Lucy“ dreht. Und gehofft, etwas mehr über den Inhalt seines neuen Werkes zu erfahren.

Doch diese Idee kann man sich schnell abschminken. „Der Film handelt von einer jungen, allein erziehenden Mutter, die von zu Hause auszieht und versucht, eine neue Beziehung einzugehen.“ Sagt Winckler und unterbietet damit sogar noch die Synopsis aus dem Pressetext. Was das für Figuren seien, hakt man nach. Winckler überlegt kurz und sagt dann: „Es sind Figuren, die nicht wirklich reden können über das, was sie bewegt – ganz normale Figuren eigentlich. Typisch normal, irgendwie.“

Mit schlechter Laune hat das nichts zu tun – ganz im Gegenteil begegnet einem Winckler als freundlicher junger Mann. Und wohl auch nichts mit Understatement. Vielmehr spiegelt sich in Wincklers knappen Aussagen ein Eindruck der Verdichtung und Prägnanz, den schon sein großartiges Debütwerk von vor drei Jahren ausmachte. „Klassenfahrt“ hieß der Film, der in unpolierten Szenen den Aufenthalt einer Berliner Schülergruppe in einer polnischen Jugendherberge zeigte und ein feines Gespür für die Probleme von heutigen Teenagern verriet.

Durchweg gut gelaunt zeigt sich beim Pressegespräch auch der Produzent Florian Koerner von Gustorf von der Firma Schramm Film, der wie schon bei „Klassenfahrt“ auch für Wincklers neuen Film die Finanzierung zusammengetragen hat. Das Budget von rund 700.000 Euro – der Film wird vom ZDF/Das kleine Fernsehspiel koproduziert – sei nach dem Erfolg von „Klassenfahrt“ problemlos zusammengekommen. Überhaupt läuft es momentan recht gut für Produktionen, die unter Label-Freunden bereits als „Berliner Schule“ oder auch „Nouvelle Vague Allemande“ kursieren – Schramm Film arbeitet etwa auch mit Regisseuren wie Angela Schanelec oder Christian Petzold zusammen.

Gedreht wird heute, am 14. von insgesamt 29 Drehtagen, in einer Bar am Frankfurter Tor mit dem schlichten Namen „U5“. Ein Farbenmeer aus roten Wänden und blauen Neonröhren offenbart sich drinnen, über dem DJ-Pult hängt ein Plattencover von Michael Jacksons „Thriller“. In einer Ecke des „U5“ sitzt Maggy mit einer Freundin und zwei Typen, von denen sie sich ein wenig Abwechslung erhofft. Denn Maggy, die junge Mutter von Lucy, hat gerade eine erneute Trennung hinter sich, hat die Hoffnung auf ein idyllisches Kleinfamilienleben begraben müssen. Seltsam verloren wirkt sie auf der Ledercouch der Bar, lange schwarze Haare bedecken ihr Gesicht, als wollte sie sich dahinter verstecken.

Kim Schnitzer spielt die Maggy in ihrer ersten größeren Rolle; auch sonst hat Winckler weitgehend auf Laiendarsteller gesetzt. Knapp und rau ist die Unterhaltung der Gruppe, die Jungs ordern „eine Runde Tequila, braun“, und würden die anderen Menschen in der Bar nicht bloß lautlos die Lippen bewegen, könnte man die Schauspieler kaum von den Statisten unterscheiden. Ein Abend ohne Kameras dürfte im „U5“ ziemlich ähnlich aussehen.

Ruhig, fast unbemerkt verfolgt Winckler das Geschehen über einen kleinen Bildschirm hinter der Kamera. Wirken seine Figuren oftmals wie Zuschauer ihres eigenen Lebens, so wirkt auch Henner Winckler selbst eher wie ein stiller Beobachter als ein Direktor. Die Szene wird erneut aufgenommen, ohne dass vom Regisseur große Änderungsanleitungen gekommen wären. Beim zweiten Take ist der Dialog anders, beim dritten wiederum. Winckler schaut sich die Aufnahme am Bildschirm noch einmal an und ist schließlich zufrieden – und die Szene ist im Kasten.

„Für die Szene haben wir kaum Vorgaben gemacht, die ist weitgehend improvisiert“, wird Henner Winckler später sagen. Und während sich die Techniker im Hintergrund an das Abbauen des Sets machen, gibt der Regisseur dann doch noch ein wenig mehr von seinem Film preis. Er habe die Situation eines allein erziehenden Mädchens aufzeigen wollen, weil dieses Thema momentan eine wichtige Rolle spiele, und weil auch er als junger Vater sich viel damit beschäftigt habe. „Maggy ist in einem Alter, in dem sie ihre eigene Situation überhaupt nicht überblickt, in dem ihr nicht wirklich klar ist, was sie tut. Sucht sie einen Partner, sucht sie eine neue Abhängigkeit, einen Vater fürs Kind oder einen Freund für sich?“

„Der Film“, sagt Henner Winckler, „endet mit einem Gefühl. Mit dem Gefühl, dass man jemanden kennen gelernt hat, dass man ein bisschen genauer weiß, wer sie ist. Das wird nicht ausgesprochen, aber gezeigt.“ Vielleicht macht das die Stärke von Wincklers Filmen aus: dass er Dinge zeigt, die nur gespürt werden können. Einfach so.