: Zurückhaltung und Forschheit
Trilogie Tage voll Schlappheit, zugebracht in einem zugemüllten Zimmer: „Baden Baden“ von Rachel Lang schließt die Geschichte der scheuen, aufgeweckten Ana ab
Über sechs Jahre begleitete die Schauspielerin Salomé Richard Regisseurin Rachel Lang in der Rolle der Ana. „Baden Baden“ ist der finale Teil einer Trilogie, die 2010 mit dem Kurzfilm „For You I Will Fight“ begann und für den Lang in Locarno mit einem Silbernen Leoparden ausgezeichnet wurde. Zwischen „For You I Will Fight“ und „Baden Baden“ entstand „White Turnips Make It Hard to Sleep“ (2011), nur wenige Minuten länger. „Baden Baden“ ist somit der einzige Langfilm der Reihe. In ihm kommt die Entwicklung der burschikosen, wenig gefestigten Ana zu einem vorläufigen Endpunkt. Vielleicht sogar zu einem Höhepunkt, denn das Chaos in „Baden Baden“ ist ein größeres als in den beiden vorangegangen Filmen – was einerseits der Länge geschuldet ist, zum anderen hat sich aber auch Ungelöstes von vor fünf Jahren ins Jetzt geschleppt.
On-Off-Boyfriend Boris etwa, in „Baden Baden“ gespielt von Olivier Chantreau (und in „White Turnips Make It Hard to Sleep“ von Julien Sigalas), ein romantisch-rücksichtsloser Künstler, Symbol einer Vergangenheit, von der nicht wenige hofften, Ana hätte sie längst hinter sich gelassen. Ihrer Mutter Chantale (Zabou Breitman) traut sich die jüngst auf Boris Gestoßene beinahe gar nicht vom Wiedersehen zu berichten, denn nach der ersten Bestürzung mahnt diese sogleich zur Vorsicht. Es ist aber auch Neues hinzugekommen: das renovierungsbedürftige Bad von Oma Odette (Claude Gensac) beispielsweise.
Rachel Lang, 1984 in Straßburg geboren, hat Philosophie und Theaterwissenschaft studiert, bevor sie an die Filmhochschule IAD im belgischen Städtchen Ottignies-Louvain-la-Neuve wechselte. „For You I Will Fight“ entstand dort als ihre Abschlussarbeit. In ihm ist Ana gerade einmal neunzehn Jahre alt. Sie steckt im Studium einer Geisteswissenschaft fest, ihre erste Beziehung (Boris?) ist unlängst und ungut zu Ende gegangen. Es sind Tage voll Schlappheit, zugebracht in einem zugemüllten Zimmer. Die Haare sind struppig. Einem Impuls folgend entsteigt Ana dem Tief und meldet sich freiwillig zum Militärdienst, entledigt sich ihrer Locken und fasst Fuß in einer Gruppe munterer Rekrutinnen. Salomé Richard sieht in „For You I Will Fight“ ein wenig aus wie ein junger Bob Dylan. Sie ist ziemlich lässig, gleichermaßen scheu, aufgeweckt und dabei ebenso introvertiert.
Daran hat sich auch in „Baden Baden“ nichts geändert. Noch immer ist es diese merkwürdige Kreuzung aus Zurückhaltung und Forschheit, die Ana kennzeichnet und die sie manchmal trottelig wirken lässt und im nächsten Moment ziemlich einnehmend. Sie ist kein Kino-Stereotyp, obschon sie ein Geschöpf der Leinwand ist. Eines, das irgendwie beiläufig wirkt und doch auch wie eine Essenz von etwas.
Manchmal erinnert Ana auf ihre ganz eigene Art an Éric Rohmers Gaspard (Melvil Poupaud) im Film „Sommer“, der richtungslos durch einen Ferienort streifte und weder wusste, welches Mädchen er haben will, noch, bei welchem ein eventueller Vorstoß lohnte. Ein moderner Bartleby.
Doch wo Bartleby „I would prefer not to“ sagte und sich verweigerte, zeigt sich bei Ana eine chaotische Variante von Offenheit, der eine eigene Komik innewohnt. Auch um sie herum entsteht ein gewisser Reigen, denn da ist nicht nur Boris, sondern da sind auch Amar (Driss Ramdi), Simon (Swann Arlaud) und Grégoire (Lazare Gousseau). Männliche Archetypen, zu denen sich Ana gerne verhält. Dass es das nun gewesen ist mit Rachel Lang und Ana, stimmt ein bisschen traurig. Auch, weil nicht sicher ist, ob der Regisseurin mit Ana/Salomé Richard lediglich ein Glücksgriff gelungen ist und sie deswegen drei Filme lang an ihr festhielt – oder ob noch mehr in Rachel Lang steckt. Carolin Weidner
„Baden Baden“. Regie: Rachel Lang. Mit Salomé Richard, Claude Gensac u. a. Frankreich/Belgien 2016, 94 Min.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen