Nichts bleibt von der Euphorie der Silvesternacht, als der Dreck. Ein Verbot von Knallern wäre trotzdem Falsch
: Eine unsinnige Tradition

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Silvester habe ich sehr ruhig auf dem Lande verbracht. Ich habe mir schon länger gewünscht, Silvester so zu feiern, weil ich sogar schon seit meiner Jugend den aggressiven Lärm verabscheue. Auch die bierselige Verbrüderung mit fremden Feiernden. Ich entwickele einfach keine spontanen Gefühle für irgendwelche Leute, nur weil ein neues Jahr beginnt, ich mag sie nicht umarmen, ich verabscheue den groben, gewalttätigen Frohsinn, und ich mag keine Böller.

Ich mag vor allem und überhaupt keine Böller. Böller werfen, das ist ein bisschen wie Krieg spielen. Ich glaube nicht, dass irgendeiner der Jungs beim Böllerwerfen auf den Straßen die Vertreibung der alten Geister im Sinn hat. Der Böllerwerfer hat mehr die Vertreibung anderer Menschen im Sinn.

In Norddeutschland jedenfalls soll es Silvester 2016 friedlich geblieben sein. Friedlich, das heißt, es ist nur das Übliche passiert. Die Feuerwehr musste löschen, die Polizei Schlägereien verhindern und die Notaufnahme Verletzte versorgen. Neunhundertfünfzig Einsätze für die Polizei gab es in Hamburg, tausendmal musste die Feuerwehr ausrücken.

In einigen Orten in Norddeutschland wurde das private Silvesterfeuerwerk einfach verboten. Auf Sylt und Amrum zum Beispiel, in St. Peter Ording, oder auf einigen Plätzen in historischen Altstädten. Sylt hat ein eigenes Feuerwerk ausgerichtet, das geht natürlich auch. So ein Feuerwerk wird dann professionell von Fachleuten, die sogar nicht betrunken sind, veranstaltet. Das hat was für sich. Aber wie soll man mit den ganzen Feuerwerkwütigen umgehen? Sollte man am besten all den Betrunkenen das Ballern und Zündeln verbieten? Und wie wäre es dann, wenn wir so feiern würden?

Als ich am ersten Januar zurück in die Stadt gekommen bin, sah es so aus wie jedes Jahr. Nie ist die Stadt schmutziger und grauer, vollgemüllter, von Scherben und Kotzehäufchen übersäter, als am ersten Tag des neuen Jahres. Nichts bleibt auf den Straßen von der Euphorie, als Dreck.

Immerhin gab es in diesem Jahr nicht so viele sexuelle Übergriffe, wie befürchtet, die Polizei ist präsent gewesen, Kameras waren aufgestellt worden. Die Feierwütigen sind überwacht worden. Man wollte sie im Griff haben und resümiert, man hat sie im Griff gehabt. Erleichterung macht sich breit. Wieder ein Silvester geschafft. Ein Aufseufzen geht durch die Wachen und die Notfallstationen. Ein neuer Alltag beginnt.

Als die Kinder klein waren, haben wir auch geknallt. Manchmal, wenn wir wo standen, im roten Feuerwerksnebel, auf der kalten, nieseligen Straßenkreuzung, immer noch irgendwelche Kreisel anzündeten, mit steifen Händen, vom Sekt schon sauer aufstoßend, dann hat mich die Silvesterrührung gepackt. Hier stehen wir also, dachte ich, so kindisch, und setzen diese dummen kleinen Dinger so liebevoll auf die schlammige Straße, weil eben Silvester ist. Man kann das machen. Achtsam, ohne andere zu verletzen, man kann so eine Tradition befolgen und sich ganz unsinnigerweise daran freuen.

Am Ende ergibt doch nichts einen Sinn. Ein Weihnachtsbaum nicht, ein Geburtstagsgeschenk, wir leben so, mit diesem Konfetti und dem Lametta, wir wissen nicht, warum, aber wenn wir gerührt sind, weil wir die Wahrheit erkennen und trotzdem weitermachen, trotzdem ein dummes Raketchen anzünden, obwohl wir unsere eigene Lächerlichkeit dabei empfinden, dann ist das der Sinn. Wir sind Kinder. Wir sind gar nicht klug und unsere Traditionen sind nicht wichtig. Aber wenn wir uns in unserer Schwäche erkennen, wenn wir uns darin nicht so wichtig nehmen, wenn wir höflich bleiben und Rücksicht nehmen, wenn wir andere Menschen mit ihren Erfahrungen leben und feiern lassen, dann können wir auch in diesem Tun gut sein und Größe zeigen. Darum bin ich doch gegen ein Verbot.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.