Nicht dramatisch, eher leer

TerrorWie fühlt es sich an, wenn die eigene Stadt von einem Anschlag getroffen wird? Ein Protokoll

Die Nachrichten über den Anschlag hatte man am Schreibtisch bekommen, via Facebook, und den Abend zu Hause zwischen Fernseher und Laptop verbracht. Es kommt einem ein bisschen lächerlich vor, sich unter dem Stichwort „the violent incidents in Berlin“ als „safe“ zu markieren, als säße man in einem Panicroom und draußen wäre Krieg.

Man ist entsetzt, aber nicht so wie nach den Anschlägen in Frankreich oder Belgien. Nicht nur, weil es weniger Tote gab, sondern auch, weil die Geschichte nicht so schnell erzählt ist. In meinem Facebook gibt es sehr viel weniger Postings über den Anschlag als über die in Frankreich oder Brüssel oder den in München. Vielleicht auch, weil einige, die sich zuvor zu schnell zu Wort gemeldet hatten, nun weniger sagen.

Es gibt keine Bilder von Opfern oder Tätern. Nur ein Handyvideo mit Blutlachen, an dessen Ende dem Filmenden das Handy aus der Hand geschlagen wird, und später dann das Bild des Lkw-Fahrers, der Hauptperson der Szenen, die im „24“-geschulten Kopf entstehen.

Am nächsten Tag ist es still in der Stadt. Ich besuche einen alten Freund im Urbankrankenhaus, der am Morgen operiert worden war. (Eine Arterie, die die Blutversorgung der Beine übernimmt, musste wieder heil gemacht werden.) M. sieht blass aus, aber auch witzig in seinem Bett, wie er mit zwei Brillen übereinander die B.Z. liest. Eine der zwei Brillen hat nur einen Bügel. Er klagt, weil er Schmerzen hat und das Bein nicht bewegen darf, und sagt: „Hätte ich nur mehr auf meine Gesundheit aufgepasst.“ Ihm gefällt es im Krankenhaus besser als im Pflegeheim. Auch der Fernseher ist besser. Die meisten Bilder in der B.Z. sind aus dem Fernseher aufgenommen; ein großformatiges vom Breitscheidplatz von einer Drohne wohl. Wir besprechen die Lage.

In der Gedächtniskirche beginnt der Trauergottesdienst. SPON postet einen Link zum Livestream unter dem Titel: „Live zum Anschlag in Berlin. Gleich geht’s los.“ Man nimmt am Fernseher an der Schweigeminute teil, steht also vor dem Fernseher und denkt an die unbekannten Toten. Und schaut den ganzen Abend Fernsehen und Internet. Die meisten sprechen vernünftig und besonnen.

Man hat keine besonderen Gefühle oder Gedanken. Man fühlt sich nicht dramatisch, sondern eher leer. Wenn einen jemand fragte, würde man nicht viel anders als der Bürgermeister oder eine der MitbürgerInnen antworten, die im Fernsehen befragt wurden.

Damit die Autoren nicht umsonst gearbeitet haben, erscheinen weiter Artikel mit langen Passagen über den zunächst tatverdächtigen Pakistaner. Zu Hause sitzend hofft man, dass die Bekanntgabe dieser Festnahme dazu diente, den wirklichen Täter in Sicherheit zu wiegen. Detlef Kuhlbrodt