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Am Ende des Tunnels kein Licht

Musik Wie beinahe jedes Jahr seit beinahe immer spielt Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen zwischen den Feiertagen in Bremen. Und das ist gut so, denn derart schön-schlauen Pop gibt es ja sonst nicht oft zu hören

Das sitzen sie und reimen was: Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen Foto: Martin Morris

von Benjamin Moldenhauer

Irgendwann in den letzten zwanzig Jahren ist das Klassenbewusstsein abhanden gekommen, das Pop gerade britischer Prägung in vielen Fällen hatte. Owen Hatherley beschreibt in seinem viel zu wenig beachteten Buch „These Glory Days“, wie sich der Britpop ab Ende der Neunzigerjahre von einer klassenkämpferischen in eine staatstragende Veranstaltung verwandelte. Eine analoge Entwicklung lässt sich für den deutschsprachigen Pop nicht rekonstruieren – weil sich eine ähnliche Verbindung zwischen „working class“ und art school“ hierzulande nicht so richtig entwickelt hat.

Zweites Desiderat im deutschsprachigen Pop: Mit dem Humor war das gleichfalls schwierig, wenn auch nicht ganz so aussichtslos. Carsten Friedrich, Sänger der Band Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen, im Interview mit der Jungle World: „Die Menschen in Deutschland wollen belehrende oder erbauliche Musik hören, mit Ironie und Humor kommt man nicht weit. In England dagegen gab es immer prominente Künstler mit sehr humorvollen Texten, zum Beispiel die Kinks und Morrissey. Hier geht das nicht, und auch Grautöne werden nicht erkannt. Entweder Karneval oder bierernst.“

Superpunk füllte diese Lücke, zwar weitgehend unbeachtet, dabei aber mit einer beeindruckenden Unverwüstlichkeit über 12 Jahre hinweg. Die 1996 gegründete und 2012 aufgelöste Vorgängerband der Liga der gewöhnlichen Gentlemen verband Witz, Klassenkampf und Soul – nicht in Form von parolenhaften Liedern, sondern von Songs, die davon erzählten, dass das Leben schwer ist, dass man aber gut daran tut, mit Haltung durch den Tunnel zu latschen, gerade weil am Ende kein Licht ist.

Ein leicht angeschrägter Realismus durchzieht Carsten Friedrichs’Texte, damals wie heute. Superpunk brachten damals den besten Song zur rot-grünen Sozialpolitik, nicht als Protestsong, sondern als die Geschichte eines Mannes, der jemanden entführt, weil er selbst und sein Bruder ein neues Gebiss brauchen: „Wir sind es leid uns zu schämen / für unsere Fressen wenn wir auf die Straße gehen.“

Noch im selben Jahr der Auflösung von Superpunk hat Friedrichs dann Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen gegründet. Und machte genauso weiter. Wieder schloss die Musik lose an Northern-Soul-Traditionen an. So nahe liegend wie der Bandname war die rumpelige Musik.

Die Dinge, die hier besungen wurden, waren so nahe liegend (und dabei auch so nahe liegend gereimt), dass man sich beim Hören immer wieder wundert, warum nicht schon ein Dutzend Bands bereits darauf gekommen sind. Wenn man das aber wiederum in Ruhe bedenkt, sind das dann aber doch überwiegend Zeilen, die bei aller Beiläufigkeit niemand sonst so treffend hinbekommt.

„Ich geh ja gleich / nur nicht sofort / ich les noch ein bisschen Wolfgang Pohrt / Interessant, was steht denn dort? / Da steht: Arbeit ist ein Sechs-Buchstaben-Wort.“ Die Grautöne kriegt Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen jedenfalls wunderbar hin. Underdog-Geschichten so zu erzählen, dass kein Sozialkitsch, aber auch, andere Variante, keine ironische Distanz dabei herauskommt, ist eine tatsächlich große Kunst. Es geht in diesen Songs unter anderem um das härteste Mädchen der Stadt, um Werner Enke, den besten Zechpreller der Welt („Wer hat diesen Gin Fizz bestellt / es war der beste Zechpreller der Welt“) und um eine Farm für ausrangierte Esel.

Viel Geschrei und Elend ließen sich vermeiden, würden die Menschen nicht ständig ohne Not ihre eigenen Kompetenzen überschreiten

Wie das funktioniert, erklärt Friedrichs so, vorbildlich abgeklärt: „Die Texte waren allein deshalb nah an meinem Leben, weil mir eine gewisse Phantasielosigkeit zu eigen ist und ich mich nur schwer in andere Leute hineinversetzen kann.“

Überhaupt: Viel Geschrei und Elend ließen sich vermeiden, würden die Menschen nicht ständig ohne Not ihre eigenen Kompetenzen überschreiten, aus blanker Ruhmsucht.

Auch in dieser Hinsicht kann man von Carsten Friedrichs lernen. „Uns war von Anfang an klar, dass wir nicht den großen Durchbruch schaffen würden“, erklärte Friedrichs nach der Auflösung von Superpunk. „Dafür haben wir alle zu wenig Ehrgeiz und sind als Typen zu absonderlich.“ Bei einem Konzert in Kassel 1998 spielte die Band vor fünf Leuten, alle auf der Gästeliste, zahlendes Publikum war nicht gekommen. Alles nicht schlimm: „Da stand immer ein Kühlschrank, aus dem man sich kostenlos Getränke nehmen konnte, und ich saß auch gern im Tourbus und habe aus dem Fenster geguckt.“

Und so wird es aller Wahrscheinlichkeit noch für Jahre weitergehen, Platte um Platte, und jede lässt die Welt ein bisschen weniger hässlich aussehen. „Nur ein kleines bisschen Seele jetzt“, hieß es in einer der vielen Eindeutschungen von englischen Songzeilen bei Superpunk. Am Freitag beim inzwischen schon fast traditionellen Lagerhaus-Konzert zwischen den Jahren gibt es viel davon.

Konzert, Dienstag 27. 12., 20 Uhr, Kulturzentrum Lagerhaus, Saal

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