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Brutale darwinistische Auslese

Fahren Neue Mobilitätskonzepte sind in Rom Fehlanzeige. Alte eigentlich auch. Der ÖPNV ist zwar konkurrenzlos billig, besteht aber vor allem aus überfüllten Bussen

aus Rom Michael Braun

Kaum steht der Bus, stürzen die an der Haltestelle Wartenden zur sich öffnenden Tür. Drinnen stehen die Leute dicht an dicht. Wer noch reinwill, kommt mit olympischem Geist („dabei sein ist alles“) oder britischer Höflichkeit („bitte nach Ihnen“) nicht weit. Hier gilt brutale darwinistische Auslese: Nur die mit den härtesten Ellbogen ergattern noch einen Platz. Die anderen müssen draußen bleiben – und auf den nächsten Bus hoffen.

So geht es jeden Morgen auf der Expressbuslinie 80, die den nordöstlichen Stadtrand Roms mit dem Zentrum verbindet und dabei Wohnviertel mit Hunderttausenden Einwohnern abfährt. Gewiss, Roms öffentlicher Nahverkehr ist konkurrenzlos billig, ein im gesamten Stadtgebiet gültiges Einzelticket kostet 1,50 Euro, eine Jahreskarte ist für gerade mal 250 Euro zu haben. Doch zugleich ist der ÖPNV in der Ewigen Stadt so desaströs aufgestellt wie in kaum einer anderen europäischen Metropole.

Von einem U-Bahn-Netz kann keine Rede sein

„Gesellschaft für die Mobilität“ nennt sich die städtische Busgesellschaft Atac – doch sie verwaltet vor allem Immobilität. Mehr als überschaubar ist schon der Streckenplan der U-Bahn-Linien, bei denen von einem „Netz“ wahrlich keine Rede sein kann: Sie sind nach Buchstaben benannt, schon bei C ist Schluss. Hinzu kommen drei S-Bahn-ähnliche Verbindungen und magere sechs Straßenbahnlinien. Der große Rest wird mit Bussen abgewickelt. Und wer damit dann sowieso im Stau steht, zieht oft genug den eigenen Pkw vor, in dem wenigstens der Sitzplatz garantiert ist.

Da überrascht es nicht, dass die Drei-Millionen-Einwohner-Stadt mit fast 700 Autos pro 1.000 Einwohnern eine mehr als doppelt so hohe Pkw-Dichte aufweist wie Berlin. Anderswo in Europa geht die Nutzung des Autos stetig zurück – in Rom nicht. Und mehr noch: Etwa 500.000 Menschen legen die Strecke zur Arbeit, zur Schule oder zur Uni mit E-Scootern zurück.

Planerisches Versagen der Politik und grobe Misswirtschaft im städtischen Verkehrsbetrieb sind die Hauptgründe für dieses trübe Resultat. So gut wie nichts haben die Stadtregierungen in den letzten 15 Jahren getan, um neuen Mobilitätskonzepten den Weg zu bereiten. So kommen die Radwege auf gerade einmal gut 100 Kilometer (Berlin: fast 1.400 Kilometer) – mit der Folge, dass nur 1 Prozent der Römer den Schneid besitzt, sich täglich mit dem Fahrrad in den Verkehr zu stürzen. Trotzdem versprechen bei jeder Wahl wieder alle Bürgermeisterkandidaten, endlich den Eisenbahnring um die Stadt zu schließen, doch passiert ist bisher nichts.

Den Rest besorgte die Atac, ein dank Korruption, Klientelismus und Misswirtschaft heruntergewirtschaftetes Unternehmen. Gut zehn Jahre sind die Busse im Durchschnitt alt. Kein Fahrgast beschwert sich, wenn der Fahrtkomfort wegen völlig durchgeschlagener Stoßdämpfer mal wieder einigermaßen rustikal ist.

Denn schon dass sich das Fahrzeug bewegt, gilt als Glücksfall: Immer wieder sieht man Pannenfahrzeuge an der Strecke, die auf halbem Weg liegen geblieben sind.

Die Metropolen wachsen rasant und ersticken im zunehmenden Verkehr. Lärm und Abgase machen den Menschen zu schaffen. Zudem ist der Verkehrssektor einer der größten Klimakiller. Wie Städte diese Probleme in den Griff kriegen wollen, untersucht die taz in dieser Serie.

Heute: Rom

Jeder dritte Bus steht defekt im Depot

Und allein im Jahr 2016 gerieten zehn Busse im Einsatz wegen Motorschäden in Brand. Seit dem letzten Sommer sind zahlreiche Linien ausgedünnt, weil stolze 30 Prozent der Busse mit technischen Defekten im Depot stehen – die mit 1,3 Mil­liar­den Euro verschuldete Atac aber keinen Cent hat, um Ersatzteile zu beschaffen.

Völlig eingestellt wurde eines der wenigen neuen Mobilitätsprojekte der Verkehrsgesellschaft: Im Jahr 2008 schaffte sie 60 kleine Elektrobusse an, die ohne Schadstoffausstoß und geräuscharm vier Linien mitten im Stadtzentrum bedienten, zum Preis von 250.000 Euro pro Stück. Doch die Batterien hielten nicht, was der Hersteller versprach, nach nur sechs Jahren musste der Dienst auf allen vier Linien „suspendiert“ werden, und auch die Elektrobusse stehen seither im Depot.

Nicht zuletzt aus Ärger über die städtische „Mobilitäts­politik“ bescherten Roms Bürger im Juni der Kandidatin der Fünf-Sterne-Bewegung, Vir­ginia Raggi, bei den Kommunalwahlen einen triumphalen Sieg. Doch angesichts der leeren ­Kassen – die Stadt hat 14 Milliarden Euro Schulden – verwaltet auch sie bisher nur die Misere. Gerade erklärte sie, bisher könne sie den Ausbau der U-Bahn-Linie C nur bis zum Kolosseum garantieren, während über die geplante weitere Verlängerung der Strecke „später entschieden“ werde.

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