Berliner Szenen: Wichteln und Shoppen
Im Kapitalismus
Am Samstag vorm 4. Advent ist das Kind auf einem Fußball-Hallenturnier. Ich hatte schon länger überlegt, wie mein Internet-Shopping-Boykott und der Kauf von Weihnachtsgeschenken eigentlich zusammengehen sollen. (Einfache Antwort für berufstätige Eltern: im Advent gar nicht mehr.) Nun fährt das Kind bei Freund Noah mit. Hurra! Froh gestimmt mache ich mich auf dem Weg in die City West. Das Kind wünscht sich „Klamotten“. Ich bin optimistisch, aber es gestaltet sich schwierig. Denn Kinderabteilungen sind im Vergleich zum Restangebot des Ladens immer sehr überschaubar, für Jungs gibt es noch mal deutlich weniger als für Mädchen. Außerdem liegen sie grundsätzlich ganz oben, ganz hinten. Anstrengend.
Nie hätten meine Eltern mich früher zum Weihnachtsshopping mitgenommen. Aus gutem Grund. Für Kinder ist das einfach mordsmäßig anstrengend. Und auch mit dem Glauben an den Weihnachtsmann wird es schwierig. Heute ist das anders. An kleinen Tischen können Kinder jetzt im Kaufhaus malen und basteln. Es ist warm, die Musik ist laut und sie kleben mit ihnen völlig fremden jungen Frauen glitzrige Verzierungen auf Pappsterne. Adventsbasteln 2.0.
Im größten Kaufhaus am Platze lesen zwei Weihnachtsmänner in der Kinderecke einem kleinen Mädchen das Disney-Bilderbuch „Eiskönigin“ vor. Gerade als ich überlege, ob es noch irgendwie trostlos-kapitalistischer geht, kommt mir ein Vater mit zwei Jungs entgegen. „Entschuldigung, im Internet stand was von Weihnachtswichteln, aber ich finde das nicht.“ „Oh, das Wichteln ist im 4. Stock“, erklärt die freundliche Verkäuferin. Wichteln im Kaufhaus wird jetzt also fest in den Kinder-Advent eingeplant. Ich fahre nach Hause und werfe das Weihnachts-Oratorium in den CD-Player. Geschenke sind überbewertet. Gaby Coldewey
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