: Stadt der Weihnacht
ORTSTERMIN Vergessen Sie die Werkstatt am Nordpol: 60 Prozent der weltweit verkauften Weihnachtsartikel kommen aus der ostchinesischen Industriestadt Yiwu
von Felix Lee
Zao Ying hat noch nie Weihnachten gefeiert. Trotzdem blinken um sie herum bunte Lichterketten. Über ihr hängen mit LED-Lichtern animierte Rentiere. Zudem hat sie Stoff-Nikoläuse in ihrem kleinen Geschäft aufgestellt, ebenso Weihnachtspyramiden und Nussknacker. Ihre diesjährige Lieblingsfigur: ein lächelnder Weihnachtsmann aus Stoff. Wenn man auf seinen dicken Bauch drückt, rattert er „Frohe Weihnachten!“ in fünf unterschiedlichen Sprachen. „Ich kann das jetzt auch“, sagt die 41-Jährige stolz und lacht. „Flohe Uainakten.“ Das war deutsch.
Der Laden von Zao Ying ist nicht das einzige Geschäft, das so weihnachtlich dekoriert ist. Um sie herum ist alles voll von Weihnachtsdeko. Auf einer Fläche von rund 4 Millionen Quadratmetern stehen in der Futian 2nd X-mas Production Street Tausende Verkaufsstände, in denen mindestens ebenso viele Händler alle nur erdenklichen Weihnachtsartikel verkaufen. Und zwar das ganze Jahr über.
Es duftet allerdings nicht nach Glühwein, gerösteten Mandeln oder Bratäpfeln. Es stinkt nach Chemie. Hinter diesem Weihnachtsgroßmarkt erstreckt sich auf einer noch viel größeren Fläche ein Industriegebiet.
Mehr als 750 Unternehmen haben hier ihre Fabrikhallen. Sie stellen rund zwei Drittel aller weltweit verkauften Weihnachtsartikel her. Das Ganze befindet sich in Yiwu, einer Industriestadt, die etwa 300 Kilometer südöstlich von Schanghai liegt. Yiwu ist über Chinas Grenzen hinaus bekannt als „Stadt der Weihnacht“.
Das Geschäft boomt. Allein im zurückliegenden Jahr wurden in Yiwu 12 Prozent mehr Weihnachtsartikel verkauft als im Jahr zuvor, einige Hersteller verzeichnen sogar ein Plus von bis zu 30 Prozent.
Nach Angaben der chinesischen Zeitung China Quality News liefern alle Firmen der Stadt Yiwu zusammengenommen Weihnachtsartikel im Wert von rund 30 Milliarden Euro.
Dabei ist Weihnachten den meisten Chinesen fremd. Wer etwa auf der Straße Passanten nach dem Christkind fragt, danach, was es mit Engeln auf sich hat oder warum Tannenbäume mit bunten Kugeln und Lichtern geschmückt werden, wird meistens nur Achselzucken ernten. Das ist auch nicht weiter verwunderlich. Das Christentum ist in China marginal geblieben. Und der laizistische Kommunismus hat Religionen auch nicht gerade gefördert.
Trotzdem sind heute aus Pekings Einkaufszentren bereits ab Anfang November Weihnachtsmänner, Engel und Rentiere nicht mehr wegzudenken. Geschäfte sind dekoriert mit Kunstschnee und bunten Lichterketten. Weihnachten in China ist vor allem ein Shopping-Event.
In Yiwu sind es keine hübsch aufgemachten kleinen Werkstätten, in denen Wichtel sitzen und gut gelaunt an Holzspielzeug werkeln. Und wer denkt, dass die viele Weihnachtsware auch in China aus weitgehend vollautomatisierten Fabrikanlagen stammt, wird zumindest an diesem Standort eines Besseren belehrt. In den heruntergekommenen Fabrikhallen sitzen dicht gedrängt Tausende Männer und Frauen an Werkbänken und schnitzen im Akkord Engel und Nussknacker. „Arbeiter sind immer noch billiger als Maschinen“, sagt der Leiter, der sich und den Namen seiner Firma nicht in der Zeitung stehen haben möchte. Die Hersteller könnten dann auf das Produkt „Echte Handarbeit“ schreiben.
„Die Verkaufsstände sind deutlich weniger geworden“, klagt Verkäuferin Zao Ying. Viele Firmen würden die Waren nun online vertreiben. „Wir sind schon bald überflüssig.“ Vorerst laufe das Geschäft aber noch. Sie zeigt auf ein paar aufgerissene Kisten, die im Hinterraum ihres kleinen Ladens gestapelt stehen. Daraus gucken schon die Ohren der Stoff-Osterhasen heraus.
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