: Hach ja, das Zwischenmenschliche
FUSSBALL Nach dem vergurkten Spiel der Leverkusener gegen Ingolstadt wird über Trainer Roger Schmidt nachgedacht. Aber das tut Sportdirektor Rudi Völler ganz behutsam
aus Leverkusen Daniel Theweleit
Mit den Jahren hat Rudi Völler eine erstaunliche Routine darin entwickelt, heikle Fragen einfach abzumoderieren. Am Sonntagabend, als einige Hundert Fans den Leverkusener Sportdirektor mit „Roger raus!“-Rufen zu einer Trainerentlassung aufforderten, erklärte Völler nonchalant, solche Reaktionen „gehören zum Geschäft, da gibt es überhaupt keine Kritik an unserem Publikum“. Im Nachgang des 1:2 gegen den FC Ingolstadt erkundigte sich eine TV-Reporterin, ob Völler die Beurlaubung von Roger Schmidt in Betracht ziehe: „Nein! Stand jetzt, warum?“, sagte Völler. Er wisse zwar, wie missglückt diese Vorrunde sei, „das ändert aber nichts daran, dass wir mit Roger Schmidt einen sehr, sehr guten Trainer haben.“
Damit waren erst mal die drängendsten Fragen geklärt, was nichts an der Tatsache ändert, dass Schmidt derzeit keine Mittel findet, das Potenzial seines Kaders zur Entfaltung zu bringen. Ganz im Gegenteil: Hier und da zeigen sich Symptome der Krise: Die sagenhafte Serie verschossener Elfmeter (vier von vier in der Bundesliga) deutet auf mangelnde Überzeugung hin. Dieser Eindruck verstärkte sich vor zehn Tagen auf Schalke, als das Team 90 Minuten lang in Überzahl spielte, aber bis zum unverdienten 0:1-Siegtreffer keine Torchance hatte. Im Training kam es unter der Woche zu Handgreiflichkeiten zwischen Bellarabi und Hilbert, zudem wurde auf Betreiben der Mannschaft Athletik-Trainer Oliver Bartlett entlassen, ein enger Vertrauter von Schmidt. Wie jede seriöse Klubführung forschen auch Völler, Manager Jonas Boldt und Geschäftsführer Michael Schade nach Ursachen für den Ärger. Übereilen wollen sie nichts.
Das hat sich schon einmal ausgezahlt, als Schmidt in der vorigen Saison wankte, zumal die Verantwortlichen sich im Gegensatz zu den „Roger raus“-Rufern von der Tribüne, den Fans also, mit Alternativen befassen müssen. Und hier ist derzeit eine ganz neue Kompetenz gefragt. Wo Trainer entlassen werden, greift man nicht mehr auf die üblichen Berühmtheiten der Kategorie Mirko Slomka, André Breitenreiter, Armin Veh oder Bruno Labbadia zurück, sondern es werden junge, unbekannte Experten auf die Bundesligabänke befördert.
Die Trainer Nagelsmann (Hoffenheim), Dardai (Hertha BSC), Walpurgis (Ingolstadt) und Nouri (Bremen) waren vor zwei Jahren als Trainer noch gänzlich unbekannt. In Augsburg hofft Manuel Baum auf eine langfristige Beschäftigung, und oben in der Zweiten Liga gibt es mit Stendel (Hannover) und Wolf (Stuttgart) zwei weitere Coaches, die in diese Reihe passen. Überhaupt arbeiten mit Tuchel (Dortmund), Hasenhüttl (Leipzig), Weinzierl (Schalke) und Gisdol (HSV) nur noch vier Cheftrainer in der Liga, die in dieser Funktion schon bei einem anderen deutschen Erstligisten beschäftigt waren.
Dieser Trend spielt natürlich eine Rolle, wenn sich Sportdirektoren wie Völler oder der ebenfalls mit einer Trainerdebatte konfrontierte Gladbacher Kollege Max Eberl mit Kandidaten wie Dieter Hecking befassen. So ein Name löst keine Begeisterung aus, und doch gibt es Gerüchte, dass der vor einigen Wochen in Wolfsburg entlassene Trainer in Gladbach sehr bald das Erbe des glücklosen André Schubert antreten wird. Beim VfL Wolfsburg steht Valérien Ismaël auf der Kippe; der aus Frankfurt stammende und in England arbeitende David Wagner gilt als aussichtsreichster Kandidat. Allerdings werden die Entscheidungen über Trainerwechsel wohl nicht vom Ergebnis des direkten Duells zwischen Schuberts Gladbachern und Ismaëls Wolfsburgern am Dienstagabend abhängen; auch das ist neu. Die Klubführungen lassen sich eher nicht mehr von einzelnen Partien, Stimmungen und aggressiven Berichten in der Zeitung treiben. Sie schauen auf die inhaltliche Arbeit und das Zwischenmenschliche, was den Job für die Sportdirektoren nicht einfacher macht.
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