Kennen lernen und genau hinschauen

Schriften zu Zeitschriften: Das neue Schwerpunktheft von „dummy“ wagt sein Thema einfach „Juden“ zu nennen

Dies ist keine Waffenzeitschrift – auch wenn auf dem Titel ein imposantes Maschinengewehr prangt. Dies ist auch kein Fashionblatt – obschon eine attraktive junge Frau die zarten Hände auf die M-16 legt und aus geschminkten Augen versonnen in die Ferne schaut. Nein, dies ist die achte Ausgabe des Berliner Gesellschaftsmagazins dummy, das jede Ausgabe exklusiv einem neuen Schwerpunkt widmet und von einem anderen Gestalter layouten lässt. Diesmal heißt das Thema „Juden“.

Allein die Idee, nach „Deutschland“, „Spaß“, „Glauben“ und ähnlich Lifestyle-tauglichen Feuilletonschlagworten mit „Juden“ aufzutrumpfen, ist stark. Und fällig, wenn man bedenkt, wie viele Sonderthemen und Hintergrundseiten in den letzten vier Jahren den derzeit erbittertsten Gegnern Israels, den Islamisten, gewidmet wurden. „Das Thema gleicht einer Anmaßung“, melden die Herausgeber Jochen Förster und Oliver Gehrs bereits im Vorwort. „Gerade mal 60 Jahre ist der Holocaust her, und da schreiben Deutsche schon wieder über Juden, sie verallgemeinern, sie bilden ab, sie nennen ein Volk beim Namen, das sie fast ausgelöscht hätten.“ Wohl deshalb hat sich die Redaktion auf zwei israelische Berater und etliche jüdische Autoren gestützt. Weder das deutsch-jüdische Zusammenleben noch der Palästinakonflikt, sondern globalisiertes Judentum und israelischer Alltag stehen im Mittelpunkt.

Der Glam-Faktor jener Soldatinnen, die auch im Heftinnern mit schweren Gewehren, verspiegelten Brillen und Khaki-Uniform in der Landschaft herumstehen, ist jedenfalls unübersehbar (Fotos: Ashkan Sahihi). Alexandra Werdes anschließende Reportage über die Armee als Integrationsapparat mit stark militarisierenden Nebenwirkungen entzaubert „Die Waffen der Frauen“ allerdings wieder ein Stück. Auch die meisten anderen Bildstrecken, etwa Jens Bösenbergs sachliche Fotografien der Bauhausarchitektur im Stadtkern von Tel Aviv oder Daniel Josefsohns Porträts von beschnittenen Penissen, signalisieren distinktionsbewusste Blicke und kühle Lust an der Provokation.

„Das wirksamste Mittel gegen Antisemitismus ist das Kennenlernen, das genaue Hinschauen“, schreiben Gehrs und Förster. „Kein öffentliches Thema ist hierzulande von solch bizarrer Unsachlichkeit geprägt.“ Also liefert dummy eine ganze Reihe amüsant aufbereiteter Daten: wie viele Juden wo leben (in Deutschland 112.000, in den USA 5,29 Mio, in Israel 5,04 Mio), was eine Kippa mit Klammer kostet (4,75 Euro) und wer alles im US-Showbusiness jüdisch ist (Winona Ryder und Sean Penn zum Beispiel). Reportagen und knappe Essays berichten selten erschöpfend, machen aber neugierig: Jost Kaisers Aufsatz über die Befreiung der Geiseln von Entebbe (1976) und den Antisemitismus in der deutschen Linken kontrastiert Michal Grinbergs kritischen Report über die Verdrängung der Araber aus den besetzten Gebieten.

Und während der Düsseldorfer Rabbi Julien Chaim Soussan im Interview sehr anschaulich erklärt, weshalb die jüdische Religion im Kern rational ist und Fehler, aber keine Sünden kennt, schildert Antje Hildebrandt die Probleme jüdischer Gemeinden in Deutschland nach dem Immigrantenansturm aus der ehemaligen Sowjetunion.

Was untergründig stets präsent und dennoch eine Leerstelle bleibt, ist der Holocaust. Wie weit erklärt er heute noch die spezifische Verfasstheit der israelischen Gesellschaft – und den deutschen Blick auf sie? Wie fühlen sich jüdische Einwanderer im Land der Shoah? Hat der Rabbi Soussan Recht, wenn er sagt, dass ein normales Verhältnis zwischen Juden und Deutschen „anormal“ wäre? Dummy beantwortet nicht alle Fragen, wirft aber selbst einige auf. Auf Lutz Meiers spannendes Porträt des Medienmoguls Haim Saban folgt ein in der Sache ganz nachvollziehbarer und dennoch merkwürdig larmoyanter Text von Oliver Gehrs, der seinerseits Saban im Medium Magazin porträtiert hat und dafür von Henryk M. Broder als Antisemit gescholten wurde. Ist das der wahre Grund für das seltene Thema? Um es dem ollen Broder so richtig zu zeigen? Es wäre bestimmt nicht das letzte Missverständnis zwischen Deutschen und Juden. Für diesmal ist es, alles in allem, überraschend unpeinlich und glamourös ausgefallen.

EVA BEHRENDT

„Dummy“ 08/2005, 6 €