: Unfreundliche Wirte sind überhaupt nicht mehr zeitgemäß
Vorfreude Der so ökumenische wie interreligiöse andere Adventskalender des kirchennahen Vereins „Andere Zeiten“führt nicht ständig Gott im Mund und ist gerade deshalb so erfolgreich
Ein behindertes Kind zu bekommen: Das ist, als ob ein Paar sich neun Monate lang auf die Reise nach Italien freut, allerlei Reiseführer kauft – und dann unversehens in Holland landet. Alles anders, alles neu erkunden, neu justieren, umstellen. Und vor allem froh sein, dass es keine Überschwemmungs- oder Dürre-Gegend wurde.
Mit Humor und starken Bildern beschreibt Emily Perl Kingsley die mit Abstand wichtigste Veränderung ihres Lebens. Und dass die Geschichte ausgerechnet vom Kinderkriegen handelt, ist kein Zufall. Gedruckt wurde der Text nämlich zunächst im Kalender „Der andere Advent“ und später, zum 20-jährigen Jubiläum dieser Kalenderserie, in dem Bändchen „Freude – Schätze aus 20 Jahren „Der Andere Advent.“
Erfunden hat den Kalender Pastor Hinrich C. G. Westphal, Chef des Amts für Öffentlichkeitsdienst der nordelbischen Kirche. 1995 war das, und die ersten 4.000 Exemplare des Text-Bild-Kalenders wurden noch verschenkt.
Drei Jahre später löste sich das Projekt von der Kirche, ging über in einen gemeinnützigen Verein mit eigener Hamburger Redaktion, der seither auch Bücher und kleine Geschenke vertreibt. Ziel des ökumenischen, kirchennahen, aber nicht -dominierten Vereins ist es, der grassierenden Esoterik etwas entgegenzusetzen.
Das funktioniert überraschend gut: 600.000 Exemplare des „Anderen Advent“, der bis zum 6. Januar reicht und die orthodoxe Weihnacht einbezieht, werden inzwischen verkauft.
Warum das so gut läuft? Vor allem, weil er eine unaufdringliche Mischung aus Bildern sowie philosophischen, literarischen und journalistischen Texten ist, die sich um das Thema Sehnsucht drehen, nicht ständig das Wort „Gott“ im Munde führen und also auch kirchenfernere Menschen ansprechen.
Zudem üben sich die Kalendermacher in Integration und haben erstmals den Geburtstag Mohammeds, den die Sunniten am 12. 12. feiern, hineingenommen, ganz im Sinne unserer pluralistischen Gesellschaft.
„Wir wollen in verständlicher Sprache Themen des Lebens anrühren“, sagt Chefredakteur Frank Hofmann. „Darauf hinweisen, dass das Leben mehr ist als Materie.“ Dabei können die scheinbar harmlosen Geschichten durchaus kirchenkritische Untertöne bergen: Der kleine Tim, im einer Geschichte von Ruth Schmidt-Mumm zur Rolle des unfreundlichen Wirts im Krippenspiel verdonnert, weigert sich nämlich hartnäckig, Joseph und der schwangeren Maria die Tür zu weisen. Ja, natürlich sei in der Herberge noch ein Zimmer für die Maria und den Joseph frei, erwidert er stets, obwohl man ihm vor jeder Probe aufs Neue eintrichtert, dass das nicht in Drehbuch steht. Irgendwann wird der Kleine des Amtes enthoben und zum Engel gemacht.
Eine schlaue Geschichte, die nebenbei eine der Säulen des Christentums hinterfragt: Den worin bestünde christliche Empörung noch, wäre Jesus im beheizten Gastzimmer geboren, und die Wirtsleute hätten ihm Brei und Decken gebracht? Wohin dann mit der Empörung über die Herzlosigkeit, über das vermeintliche Opfer-Sein Jesu, seine Exponiertheit auch in diesem Punkt?
Wohin andererseits mit der schwarzpädagogischen Didaktik, derzufolge der Mensch – der brave Christ – nur vom schlechten Beispiel lernt? Dass der angesichts des abweisenden Wirts geradezu zwanghaft das Gegenteil tut und zum Gastfreund wird?
Wissenschaft und Erfahrung zeigen, dass das Gegenteil der Fall ist und man eher durch Kopieren lernt. Höchste Zeit also, die – nicht nur in puncto Datum – ohnehin zurechtfrisierte Jesus-Geschichte nochmals umzuschreiben. Und gefälligst einen gütigen Wirt einzubauen, dem man vorbehaltlos nachahmen kann, frei nach dem Motto: Güte steckt an. Petra Schellen
Der Adventskalender, das Büchlein „Freude – Schätze aus 20 Jahren „Der Andere Advent“ sowie weitere Publikationen erhältlich beim Verein Andere Zeiten. www.anderezeiten.de
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