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Archiv-Artikel

Die Börse sonnt sich

von TARIK AHMIA

Die Ölpreise explodieren, alternative Energien sind an den Börsen en vogue. Vor allem die deutsche Solarindustrie profitiert. Deutsche Photovoltaikfirmen nutzen die Gunst der Stunde – und drängen aufs Parkett. Die Anleger stürzen sich auf die neuen Anbieter: Beim Solarzellenproduzenten Q-Cells endete gestern die Zeichnungsfrist, heute werden die Papiere erstmals gehandelt. Doch nur wenige Interessenten waren so glücklich, tatsächlich auch Aktien zu erhalten: Sie waren 25-fach überzeichnet. Diese Enttäuschung mussten auch schon andere Solaranleger erleben: Die Aktien der thüringischen Ersol starteten am Freitag an der Börse – und waren sogar fünfzigfach überzeichnet.

Generell ist die Branche im Aufwind: Das umsatzstärkste deutsche Solarunternehmen Conergy hat seinen Kurswert seit dem Börsengang im März nahezu verdoppelt. Auch der Solaranbieter Solarworld konnte in den vergangenen sechs Jahren seinen Kurs um das Siebzehnfache steigern. Börsenanalysten wie die Londoner Firma Independent Research halten den Kurs der Aktie jedoch für überbewertet. Das tut der Beliebtheit der Solaraktien bislang keinen Abbruch (siehe Interview unten).

Im Gegensatz zur New-Economy-Blase im Jahr 2000 stützt sich der Solarboom jedoch auf eine reale Nachfrage: Die Firmen produzieren an der Kapazitätsgrenze. Nach Schätzungen von Deutsche Bank Research werden die jährlichen Wachstumsraten auch langfristig im zweistelligen Bereich liegen.

Einer der Gründe für den Börsenboom ist der technische Fortschritt bei den Solarzellen, der sich schon jetzt in den Labors für die nächsten fünf bis zehn Jahre abzeichnet. „Solarpanels können dann bis zu dreimal mehr Energie liefern als heute“, prognostiziert Wolfgang Appenzeller vom Institut für Photovoltaik am Forschungszentrum Jülich. Gleichzeitig würde die Herstellung deutlich billiger. „Beim jetzigen Stand der Forschung ist der Solarstrom dann wettbewerbsfähig mit Öl und Gas.“ Auch der jetzige Lieferengpass beim Spezialsilizium könnte überwunden werden – durch so genannte Dünnschichtzellen. Sie würden nur noch ein Hundertstel des teuren Siliziums erfordern.

Marktöffner war das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das die Stromnetzbetreiber verpflichtet, Solarstrom zum Erzeugerpreis abzunehmen. Momentan wird eine Kilowattstunde mit etwa 54 Cent vergütet; die Haushaltskunden zahlen für ihren Strom jedoch nur rund 18 Cent. Dennoch erwartet die Branche nicht, dass eine neue Bundesregierung die Solarförderung einschränken wird – gehört doch die Branche zu den am schnellsten wachsenden Wirtschaftszweigen. „Auch die Union unterstützt die Photovoltaik“, freut sich Carsten Körning von der Unternehmensvereinigung der Solarwirtschaft (UVS). Er rechnet 2005 mit einem Branchenumsatz von 2,6 Milliarden Euro. Derzeit arbeiten über 30.000 Menschen in der Solarindustrie, die als Technologiemotor und Exportschlager gilt.

Bei aller Euphorie hat der Solarboom jedoch nicht nur mit den Erfolgen der Branche zu tun – für fast alle Aktien gilt, dass sich ihr Kurs nach oben bewegt. Diese verbesserte Stimmung macht Börsengänge überhaupt erst möglich. Gemessen an den Neuemissionen ist das vergangene Quartal in Deutschland das stärkste Vierteljahr seit dem Boomjahr 2000. Noch 2003 gab es in Deutschland überhaupt keinen Börsengang.

Die jetzige Solareuphorie wird jedoch von Zockern überschattet. Oliver Drebing vom Hamburger Analysehaus SES Research sagte der taz: „Die Solaraktien sind hoffnungslos überteuert. Der Rückschlag ist vorprogrammiert.“ Drebing hält einen Bewertungsabschlag von 30 Prozent für angemessen. Vorerst wollen sich die Anleger ihre Laune aber nicht verderben lassen. Bis zum Jahresende wollen sich mindestens vier weitere Photovoltaik-Anbieter aufs Börsenparkett wagen.