: Wie das Knacken einer saftigen Möhre
Franziska-Theresa Schütz hat im Moks – sehr frei nach James Krüss’ Hörspiel „Der Sängerkrieg der Heidehasen“ – ein Theaterstück für Menschen ab sieben Jahren inszeniert. Möhrenorange die Farbe, eioval die Form, kuscheltiercharmant – allen Happy-End-Allergikern zum Trotz
Hasen sind auch nur Menschen. Sie kennen des Lebens Dramolette um Liebe, Geld und Macht. Und jede Langohr-Generation empfindet den existenziellen Überdruss früher als die vorhergehende. Als Fruchtbarkeitsopfer der Aphrodite hat man ausgedient, als Sinnbild der Auferstehung Christi kennt einen keiner mehr, so dass der Lebensunterhalt in geckenhafter Osterhasenverkleidung verdient werden muss. Perspektiven? Sinnloser Fortpflanzungsüberschwang, überflüssige Hoppelei. Daher inszeniert Franziska-Theresa Schütz gleich ein wenig Weltschmerz hinein in James Krüss’ 1958 entstandenes Hörspiel „Der Sängerkrieg der Heidehasen“, das als Kindermusical schon deutschlandweit fröhliche Ostermärchenurständ’ gefeiert hat. Jetzt im Moks-Theater aber eher an Georg Büchners „Leonce und Lena“ und ihren „entsetzlichen Müßiggang“ erinnert.
Dieser ist nichts anderes als Heidehasenfreizeit in Obereidorf – also Menschenfreizeit anno 2005. Ein Lebensgefühl vertieften Leereempfindens. Daraus erwächst eine Neigung zur Clownerie. Wie bei Leonce und Lena. Oder zur Erlösungssehnsucht. Wie bei Häsin Schalotte von und zu Schneepuschel, Tochter König Lamprechts VII. So öde sei das Leben, „jeden Tag dieselbe Leier“, lautet die Beschwerde. Der Wunsch richtet sich auf einen Prinzen, der entführend eingreift. Weswegen die Prinzessin ihre Nager schon kussweiß geputzt und das Fell in ein Hochzeitsröckchen gehüllt hat.
Bevor dieses bestimmungsgemäß eingesetzt werden kann, muss noch das Böse besiegt werden, das bei Krüss wie Büchner von den gemeingefährlich verlogenen Erwachsenen repräsentiert wird. In der Moks-Aufführung wird Direktor Wackelohr für seine Prinzessinnengeilheit mit aschgrauem Textilmüll, Ministerin Knabberzahn für ihre Intrigantennatur mit Karoleggins in Schwarz-Weiß bestraft.
So wie Krüss das Fantastische und Komische zu einer eigenen Realität verbindet, gelingt dies dem Moks mit einer Raumbühnenlösung. Möhrenorange die Farbe, eioval die Form. An der Möhrenbartheke hocken die Zuschauer, es gibt „Kohlpirinha“ und Singanimation. Die Musikanten Jan Fritsch und Alexander Seemann haben die Ohrwürmer im Sinne heutiger Poperfahrungen neu komponiert. Schon erscheint der Erlöser der Kinderzimmermelancholie: Mit unverdorbener Lust intoniert Hoppel Lodengrün: „Yeah, yeah, ich hoppel’ im Sonnenschein“. Yeah, „das klingt wie das Knacken einer saftigen Möhre“, jubiliert die Prinzessin. Nicht mehr Langeweile gähnt sie an, die Party geht los. Doch bevor man tief in die Wagner-Wartburg-Tannhäuser-Exegese einsteigt, tirilieren und gitarrieren die gemeinen Feld, Wald, Wiesen- und Heidehasen um Schneepuschels Gunst.
Knabberzahn verführt den chancenlosen Miesepeter Wackelohr zu einem Betrug von millivanillieskem Ausmaß: Für 10.000 Hasenmark lässt ihn die Ministerin playback mit Lodengrüns Stimme singen. Aber dessen Superstar-Entschlossenheit lässt alle Schwermut federleicht verwehen. Wo bei Büchner im gegenseitigen Erkennen, im Erwachen der Liebe zwischen Leonce und Lena genau die verhasste Zwangsläufigkeit des Weltenlaufs triumphiert, die aus Geldkalkül von den Eltern arrangierte Heirat nun doch stattfindet, darf das junge Hasenpaar im Moks selbst die Regeln bestimmen, nach denen es sich findet – allen Happy-End-Allergikern zum Trotz.
Aber die Regie setzt auf Doppelbödigkeit: kuscheltiercharmant, kunstvoll künstlich und mit dem guten alten aufklärerischen Ansatz – ganz im Sinne von James Krüss. „Wer für Kinder schreibt“, so dessen Credo, „schreibt auch für die Erwachsenen von morgen. Er kann Einfluss nehmen. Er soll Künstler sein. Aber er darf auch Didaktiker sein.“ Der „Sängerkrieg“ ist daher als präpubertäre Erstbegegnungsgeschichte der Geschlechter zu erleben, aber auch als „Leonce und Lena“-Lustspiel über Hass und Verzweiflung sowie als Brecht’sche Moritat zur Verführungskraft des Geldes. Theater für den Hasenfuß im Menschen – und umgekehrt.
Jens Fischer