„Am Ende kam zur Unfähigkeit auch noch Pech dazu“

DAS BLEIBT VON DER WOCHE Neue SenatorInnen kommen, alte gehen. Designierte Bürgermeisterinnen werden gegangen. Und in Kreuzberg fallen angeblich tote Schwäne vom Himmel

Keine hundert Tage Schonfrist

Grüne Umweltsenatorin

Ein Volksbegehren in der Hinterhand kann nicht schaden

Nun also große Zustimmung. Für den Koalitionsvertrag und für die künftige Umweltsenatorin. Beim kleinen Parteitag der Grünen am Donnerstagabend schrammte die Führungsriege gerade noch an der Blamage vorbei. Vorerst, denn der Unmut, den die Besetzung des wichtigsten Senatspostens an die parteilose bisherige WWF-Managerin Regine Günther ausgelöst hat, schwelt weiter.

Der Kreisverband Pankow hat für die Landesdelegiertenkonferenz am 3. Dezember einen Antrag eingebracht. Demnach soll über Koalitionsvertrag und Personal getrennt abgestimmt werden. Überraschungen sind also nicht ausgeschlossen, zumal man in Pankow inzwischen offen von einer „Kreuzberger Regierung“ spricht. Soll heißen, die Parteilinke um Landeschef Daniel Wesener und Fraktionschefin Antje Kapek habe ohne Rücksicht auf Verluste den Durchmarsch angetreten.

Vor allem dass es Günther an Verwaltungserfahrung fehlt, beschäftigt die Gemüter. Denn die künftige Umweltsenatorin ist auch Verkehrssenatorin, und im Verkehrsressort gilt es dicke Bretter zu bohren. Allein der Bau neuer Radspuren und der Aufbau der Velo GmbH sind Praxistests, die Nerven erfordern, gilt es doch, sich gegen viele Widerstände durchzusetzen. Einer wie der Pankower Stadtrat Jens-Holger Kirchner hätte da seine Erfahrungen einbringen können.

Natürlich haben auch die designierte Wirtschaftssenatorin Ramona Pop und der nominierte Justizsenator Dirk Behrendt noch keine Verwaltung geführt. Doch beim Thema Verkehr ist ein Kaltstart von null auf hundert gefordert. Hundert Tage Schonfrist wird es da nicht geben, zumal der Neuen noch immer das Volksbegehren Fahrrad im Nacken sitzt.

Und dessen Initiatoren wären gut beraten, nicht allzu glückselig auf den Koalitionsvertrag zu schauen. Der ist klasse, ohne Frage. Aber nun müssen den Worten auch Taten folgen. Da kann es nicht schaden, immer noch ein Volksbegehren in der Hinterhand zu haben.

Uwe Rada

Die späte Rache des Herrn Czaja

FLÜCHTLINGE

Der Senator hat die Schuld an allem Versagen immer anderswo gesucht

Am Ende kam zur Unfähigkeit auch noch Pech dazu, so muss man die Bilanz von Sozialsenator Mario Czaja wohl überschreiben. Der CDUler ignorierte erst alle Warnungen vor steigenden Flüchtlingszahlen, später Beschwerden über die intransparente Auftragsvergabe seines Amts an dubiose Flüchtlingsheimbetreiber. Dann brach seine Verwaltung unter dem Ansturm von Flüchtlingen zusammen und muss Turnhallen großteils bis heute belegen, weil sie nicht imstande war, den Betrieb von Ersatzbauten nach Recht und Gesetz auszuschreiben. Nun kam am Freitag auch noch heraus, dass die neuen Containerdörfer bauliche Mängel haben, sodass ein bereits bezogenes wieder geräumt werden muss.

In gewisser Weise hängt all dies zusammen. Natürlich kann Czaja nichts dafür, dass die Container offenbar Schrott sind. Aber die Notwendigkeit, Containerdörfer aufzustellen, ist auch die Quittung dafür, dass Czaja nie ein stringentes Unterbringungskonzept hatte.

Dessen ungeachtet hat der Senator die Schuld an dem Versagen immer anderswo gesucht. Niemand habe die hohen Flüchtlingszahlen vorhersehen können, hieß es im vorigen Jahr. Und nun: Dieses EU-Ausschreibungsrecht sei einfach zu kompliziert für seine Mitarbeiter.

Dazu Folgendes: Ebenso wenig wie steigende Flüchtlingszahlen, auf die Experten seit Jahren hinweisen, ist die Komplexität von EU-Recht neu. Fitte Kommunen holen sich längst externen Sachverstand, um rechtssicher auszuschreiben. Berlin hat auch hier geschlafen – nicht zuletzt, weil sich Czajas Amt jahrelang gar nicht ums Vergaberecht geschert und fröhlich „freihändig“ Aufträge zum Betrieb von Flüchtlingsheimen vergeben hat.

Dass es ausgerechnet jetzt seine Liebe zur korrekten Ausschreibung entdeckt – wo es primär darum geht, die Flüchtlinge schnell aus den Turnhallen zu bekommen –, scheint wie eine späte Rache Czajas an seinen Kritikern aus der bisherigen Opposition, die die Suppe nun auslöffeln dürfen. Dass die Leidtragenden am Ende wieder die Flüchtlinge sind, hat ihn ja nie interessiert. Susanne Memarnia

Hunde an die Leine?
Nie gehört!

Vogelpest in Kreuzberg

Entenpaare ziehen gen Westen: Flucht aus Kreuzberg, ist der erste Gedanke

Die Suche nach der Vogelpest beginnt in der Brachvogelstraße. Nomen est omen. Die Sonne scheint, auf dem Uferweg am Landwehrkanal raschelt das Laub. Lautlos zieht ein Schwan vorbei. In gebührendem Abstand folgt ihm ein Entenpärchen. Das Gespann zieht gen Westen. Flucht aus Kreuzberg, das ist der erste Gedanke.

500 Meter weiter, an der Baer­waldbrücke, wurden seit vergangenem Freitag fünf tote Schwäne geborgen. Alle waren mit dem Virus H5N8 infiziert. Nur in Kreuzberg – nirgendwo sonst in Berlin – hat die Vogelpest bisher zugeschlagen. Ein weiträumiger Sperrbezirk ist deshalb eingerichtet worden. Für Hunde bedeutet das Leinenpflicht: damit sie das Virus nicht weitertragen, wenn sie an einem infizierten Kadaver geschnüffelt haben.

Hinter der Baerwaldbrücke öffnet sich der Urbanhafen. Dutzende von Schwänen und Enten tummeln sich dort. Vom Restaurantschiff aus verfolgen die Gäste das fröhliche Treiben. Mediterrane gefüllte Maispoularde für 16,50 Euro steht auf der Speisekarte. Am anderen Ufer zerlegen zwei Krähen auf der frisch sanierten Promenade am Böcklerpark den Müll. Gesund und kräftig wirken die Tiere – ganz im Unterschied zu dem Schwan, der unlängst aus vollem Flug tot abgestürzt sein soll. „Mein Nachbar hat’s gesehen“, versichert eine ältere Spaziergängerin. „Du musst nicht immer alles glauben“, belehrt sie ihr Mann. Das Hühnchen beim Mittagessen habe ihr gar nicht mehr geschmeckt, erzählt die Frau unbeirrt. „Du hattest doch Grippe“, sagt der Besserwisser.

Was? Vogelgrippe? Leinenpflicht? Eine Frau, deren zwei Beißer wie alle Hunde frei über die Wiese tollen, ist entsetzt. „Das steht aber nirgends!“ Es dauert, bis sie ihre Köter an die Leine gelegt hat. Von der Brachvogelstraße bis zur Admiralbrücke diesseits und jenseits des Landwehrkanals – nirgendwo ein Hinweis auf das Sperrgebiet. „An der Baerwaldbrücke hing mal was“, erinnert sich ein Mann. „Abjerissen worden“, vermutet der Kreuzbergkundige. Ganz im Unterschied zu den Zetteln der Anwohnerinitiative, die für Sonntag zur Teilnahme am Bürgerentscheid aufruft. „Fraen­kelufer retten“ hat Vorrang. PLUTONIA PLARRE

Linkspartei kippt eigenen Erfolg

Der Fall Evrim Sommer

Sommers Demontage durch die eigenen Leute ist eine Steil­vorlage für die AfD

Auf den ersten Blick erinnert der Fall der Linken-Politikerin Evrim Sommer an den der ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Petra Hinz. Als bekannt wurde, dass die ihren Lebenslauf – vom Abitur bis zum Juraexamen – frei erfunden hatte, musste sie ihre politischen Ämter niederlegen. Ähnlich lief es für Sommer: Die kurz vor ihrer anvisierten Wahl zur Lichtenberger Bürgermeisterin vorletzten Donnerstag aufgetauchten Vorwürfe, sich unberechtigt mit einem Hochschulabschluss zu schmücken, führten erst zu Sommers Nichtwahl, am Montag dann zu ihrem Rückzug.

Doch Sommers Scheitern weist mehr Parallelen zu den Fällen von Heide Simonis und Andrea Ypsilanti auf. Beide scheiterten bei ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin von rot-grünen Koalitionen an den eigenen Leuten – Simonis 2005 in Schleswig-Holstein, Ypsilanti 2008 in Hessen. Während sich in Wiesbaden vier SPD-Abgeordnete als heldenhafte Verhinderer einer Linksregierung stilisierten, hat sich der „Heide-Mörder“ bis heute nicht bekannt.

Auch Sommer wurde zum Opfer ihres eigenen Lagers, neun Stimmen fehlten ihr aus der rot-rot-grünen Zählgemeinschaft. Die Mehrheit der Abweichler stammt – davon kann man ausgehen – aus der Linkspartei. Auch der anonyme Hinweisgeber an die Medien wird hier vermutet. Sommer selbst spricht von internen Widersachern, die sie schon im Wahlkampf „angegriffen und diskreditiert“ hätten. Ein Festhalten an ihr wäre problemlos möglich gewesen. „Bachelor of Arts“ stand im Lebenslauf hinter ihrem noch nicht abgeschlossenen Geschichts- und Gender-Studies-Studium – selbst die Humboldt Universität verteidigte dies als Bezeichnung des Studiengangs.

Ganz unabhängig von der Motivation der Heckenschützen – eigenes Machtstreben, Fremdeln mit der Nicht-DDR-Sozia­lisierten oder Zweifel, weil sie keine Verwaltungserfahrung hat: Geschadet haben sie nicht nur Sommer, sondern der ganzen Linkspartei und der politischen Kultur Lichtenbergs. Gewinnerin ist vor allem die AfD, die die Steilvorlage für ihre Abrechnung mit dem „Establishment“ nutzt.

Die Lichtenberger Linke dagegen zerstört ihren eigenen Erfolg, den unter rechtem Generalverdacht stehenden Bezirk mit einer kurdischstämmigen Kandidatin zurückerobert zu haben. Und sie verliert eine Frau, die mit ihrem linken, antifaschistischen und feministischem Profil dafür stand, nicht nur im Mainstream mitzuschwimmen.

Erik Peter