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American PieChaos mit System

Die Meisterfindung im College Football ist kryptisch. Dabei ist derzeit eigentlich unstrittig, wer das beste Team ist

Die Frage war bloß rhetorisch gemeint. „Ist College Football nicht die großartigste Errungenschaft der freien Welt?“, fragte Trainer Clay Hewton, nachdem sein Footballteam, die USC Trojans der University of Southern California, bei den Washington Huskies in Seattle einen vollkommen überraschenden Sieg gelandet hatten.

Wirklich „unglaublich“ fand Clayton aber nicht nur den Erfolg seines Teams. Denn neben der von ihm besiegten University of Washington hatten am gleichen Tag auch noch die Clemson Tigers und die Michigan Wolverines gegen wesentlich schwächer eingeschätzte Gegner verloren. Damit hatten an einem Wochenende von den vier Footballteams, die im bisherigen Verlauf der Saison noch ungeschlagen geblieben waren, sich drei Niederlagen eingehandelt. Diese Anomalie rief sofort die Statistiker auf den Plan, die daraufhin verkündeten, dass solch eine Ungeheuerlichkeit mit einer mathematischen Wahrscheinlichkeit von 0,3 Prozent vorkommen kann, also eigentlich nie, und tatsächlich aber trotzdem das letzte Mal im Oktober 1985 vorgekommen ist.

Gut, wem das jetzt arg kompliziert vorgekommen sein mag, der befindet sich in bester Gesellschaft. Die Meisterfindung im College Football ist eine äußerst vertrackte, über weite Strecken undurchschaubare, bisweilen sogar chaotische Angelegenheit. Und gerade deshalb, wirklich wahr, in den USA besonders beliebt.

Bis 1992 wurde der National Champion durch eine doppelte Abstimmung ermittelt. Bei mehr als 100 College-Teams in der obersten Spielklasse kann nicht jeder gegen jeden antreten. So wählten Trainer und Sportjournalisten in verschiedenen Polls die ihrer Meinung nach besten, und wenn die sich nicht einig waren, gab es eben keinen unumstrittenen Champion. Also wurde seit 1992 ein Finale gespielt: Damit gab es am Ende der Saison zwar einen Sieger, aber dafür monatelangen Streit, wer denn für das Endspiel nominiert werden sollte. Um auch diese Diskussionen zu beenden, wurde 2014 das „College Football Playoff“ eingeführt: Nun werden von einer Findungskommission die vermeintlich vier besten Mannschaften ausgewählt, die zuerst ein Halbfinale und dann ein Endspiel austragen.

Der Erfolg des neuen Systems: Es wird so viel gestritten wie nie zuvor. Plötzlich besitzen nicht mehr nur drei, vier Mannschaften noch eine Chance, sich für das Vierer-Playoff-Feld zu qualifizieren, und mithin eine Chance auf den Titel, sondern mehr als ein Dutzend.

Eine Win-win-Situation: Mehr Kontroversen sorgen für mehr Diskussionen, Presse, höhere Einschaltquoten, größere Umsätze. So sind fast alle zufrieden.

In Alabama aber und zumindest in diesem Jahr sieht man die Sache etwas differenzierter. Das ist die Ironie der Geschichte: Aktuell würde das antiquierte, 1992 zu den Akten gelegte Poll-System die wenigsten Diskussionen verursachen. Denn landesweit sind sich Akteure und Zuschauer einig, wer momentan das beste Footballteam des Landes stellt.

Es ist die Alabama Crimson Tide, der amtierende Meister und seit Samstag das letztverbliebene ungeschlagene Team. Das Team von Trainer-Star Nick Saban dominiert die Gegner, zuletzt gab es einen 51:3-Sieg gegen Mississippi State. Tatsächlich zweifelt kaum jemand daran, dass Alabama auch den Rest seiner Spiele gewinnen wird, die beiden Playoff-Partien inklusive. Weiter gespielt wird trotzdem, denn man weiß ja nie, wie es ausgeht – jedenfalls in der freien Welt. Thomas Winkler

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