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Archiv-Artikel

Die Kunst, ein politischer Trendsetter

Der Politikwissenschaftler Lothar Probst über das Verhältnis von Kunst und Politik nach der Bundestagswahl, technokratische Monsterreformen und die Reform der politischen Sprache. Am Wochenende widmet sich die Böll-Stiftung diesen Themen

taz: Das Symposium der Böll-Stiftung am Wochenende hat die „Kunst in der Gegenwart“ zum Thema, diskutiert aber auch die Bundestagswahl. Wo ist die Verbindung?

Lothar Probst, Politikwissenschaftler: In der Kunst wird die Politik auf eine andere Art und Weise reflektiert als in der Politik selbst. Die Kunst beobachtet die Politik nicht nur unter ästhetischen Gesichtspunkten, etwa bei der Frage, wie sich Wahlkämpfe verändern. Es entwickeln sich auch andere Widerstandspotenziale gegenüber einer Politik, wie sie wahrscheinlich auch von der großen Koalition zu erwarten ist.

Ist die Kunst heute politischer als vor fünf oder zehn Jahren?

Unter der rot-grünen Regierung haben viele Künstler gedacht: „Lass die mal machen. Rot-Grün ist ja gar nicht so schlecht.“ Rot-Grün hat ja tatsächlich dort Modernisierungsprozesse frei gesetzt, wo unter der Kohl-Regierung Stagnation zu verzeichnen war. Man hatte sich also ein Stück weit mit der Regierung arrangiert. Und rein rhetorisch hatte Rot-Grün ja auch durchaus etwas für die Kunst übrig. Der Kanzler rühmt sich schließlich der Bekanntschaft mit vielen Künstlern. Diese Phase ist jetzt abgeschlossen, auch in der Kunst wird man sich neu orientieren müssen. Wir bekommen jetzt – mit einer immer wahrscheinlicher werdenden großen Koalition – veränderte Koordinaten.

Wie sieht das in Bremen aus?

In Bremen ist unter der großen Koalition einiges probiert worden, um die Kulturszene trotz hoher Staatsverschuldung nicht ganz auszutrocknen. Die Bewerbung als Kulturhauptstadt diente ja dazu, sicherzustellen, dass auch für die Kunst- und Kultur-Szene Ressourcen zur Verfügung stehen.

Die OrganisatorInnen des Symposiums sagen, dass Kunst nicht selten auf gesellschaftliche Bewusstseinsveränderungen hinweist. Sehen Sie das auch so?

Man kann beobachten, dass sich im vorpolitischen und kulturellen Raum Trends herausbilden, bevor sie politisch artikulationsfähig werden. Die Kunst kann ein Schrittmacher solcher Entwicklungen sein. Das muss aber nicht so sein. Ich sehe da keine kausale Beziehung.

In Bremen wird hier ja die Inszenierung der „Verschwörung des Fiesko zu Genua“ als Beispiel angeführt.

Ich habe das Stück im letzten Semester mit Studierenden gesehen. Aber das ist keine Vorwegnahme von, sondern ein Kommentar zu einer politischen Entwicklung. Es werden die üblichen Mechanismen, die Intrigenspiele um die Macht dargestellt, es geht um die Instrumentalisierung des Privaten für das Politische, und es wird gezeigt, wie Inszenierungen in modernen Wahlkämpfen ablaufen.

Die Böll-Stiftung sagt, der Ruf der Wähler ist einer nach Sicherheit und Veränderung. Ist das nicht ein Widerspruch?

Die WählerInnen sind widersprüchliche Wesen: Zwei Seelen schlagen in ihrer Brust. Die eine sieht die Notwendigkeit von Reformen und Veränderung, die andere will die Erhaltung des Status quo und erwartet soziale Gerechtigkeit. Reformpolitik muss, wenn sie akzeptiert werden soll, auch politische Botschaften vermitteln. Technokratische Monsterreformen, die mit Namen wie Agenda 2010 der Hartz IV daher kommen, kann man sich in Zukunft nicht mehr leisten. Reformpolitik muss auch eine Geschichte erzählen, in der sich der Sinn erschließt.

Ist es Aufgabe der Kunst, gerade bei großen Koalitionen eine gesellschaftliche Oppositionsrolle zu übernehmen?

Es ist mit Sicherheit falsch, zu sagen: Die Kunst muss besonders widerborstig sein, weil die große Koalition kommt. Ich glaube, Kunst muss immer ein Stück Distanz zur Politik wahren. Das gilt ganz unabhängig von Koalitionen. Richtig ist in jedem Fall: Wenn die Kunst ihr kritisches Potential aufgibt, hat sie schon verloren. Interview: Jan Zier