Das Subjektive, Verpeilte, Rohe

Film Heute startet das 32. Internationale Kurzfilmfestival, nach der Berlinale das zweitälteste und zweitgrößte Berliner Filmfestival

Berlin ist die Stadt der Filmfestivals. 38 werden im Internet aufgelistet. Eines davon – das „Internationale Kurzfilmfestival Berlin“ – wurde 1982 in Kreuzberg als Super-8-Filmfestival gegründet. „Interfilm“ gilt heute als das zweitälteste und zweitgrößte Berliner Filmfestival nach der Berlinale. Alljährlich werden 6.000 Filme eingereicht. 600 werden ausgesucht und an den fünf Festivaltagen in diversen Programmen gezeigt werden.

Schade, dass Vorfilme im normalen Kinoalltag nicht mehr üblich sind und Kurzfilme fast nur auf Festivals laufen. Als Kurzfilm gilt, was nicht länger als 30 Minuten lang ist. Anfangs war es noch ganz anders gewesen: Kurzfilm und Super 8 hatten Undergroundtouch. Der Anteil filmstudentischer Arbeiten war gering. Die Filmer waren Amateure, Künstler anderer Sparten, Lebenskünstler oder meist Autorenfilmer.

Filmemacherkollektive gab es auch oft. Die Welt war noch jung, am Rande tobte der „Häuserkampf“, und man scherte sich wenig um die Einhaltung der herrschenden Erzählweisen. Es gab Christoph Schlingensief und den God Father of Wohnzimmermusik und Beatles-Verfilmer Klaus Beyer, die Männchenfilmerin Dagie Brundert und Lydia Lunch und die ganzen genialen Dilettanten, die fast alle mit Super 8 arbeiteten.

Jetzt hat man beim Angucken der Pressefilme den Eindruck, es handle sich fast nur um filmstudentische Arbeiten. Und stellt sich deshalb vor, wie in allen Filmhochschulen dieser Welt Hinweise auf die Festivals hängen, zu denen man seine Studentenarbeiten hinschicken kann, und dass es vermutlich auch Kurse gibt, in denen FilmstudentInnen lernen, wie und wo man sich am besten bewirbt und so weiter.

Seltsame Filme

Das Subjektive, Individuelle, Verpeilte, Rohe, das die Super-8-Festivals früher auszeichnete, wird nun skurril genannt und unter dem Titel „Die Nacht des Abwegigen“ am Freitagabend, ab 22 Uhr in der Volksbühne gezeigt. Sir Henry spielt dazu mit seiner Wohnzimmerorgel, und das mit klappernden Lärm­utensilien ausgestattete Publikum kürt einen „Master of Absurdity“, als seien seltsame Filme ein Kindergeburtstag.

In diesem Programm laufen unter anderem: „Was wir tun, wenn wir alleine sind“ von Moritz Adlon, ein Film über uns und unseren Körper. Francesco Aber und Alessandro Mattei inszenieren in ihrem 7-Minuten-Natur-Film „Age of Rust“ Bagger als gefährliche Dinosaurier. Der 1:48 Minuten lange „Mondprobleme“ von Clemens Thurn-Valsassina handelt von einem im All treibenden Astronauten, ist klasse lakonisch und steht in seiner seltsamen Queerness in der Tradition der S-8-Filme der 80er. In „Ficki das Pony“ von Kurt Razelli ist ein Pony entlaufen, und komplett verpeilt sind die Leute in dem großartigen japanischen Techno-Video „Valentino Khan – Deep Down Low“, das in der Sektion „Clips & Tracks“ zu sehen ist. LSD-hafte Wahrnehmungsverschiebungen in den Gesichter der Leute in einem Schnellrestaurant werden sozusagen kongenial dargestellt.

Der sympathisch-komische, zehnminütige finnische Film „Fantasia“ von Teemun Nikki berichtet von einer Familie in einem Dorf, in dem alle Kartoffeln essen und wie die mondäne, moderne Pizza also Einzug in dies Dorf hält. In dem geschmackvollen achtminütigen italienischen Erotikfilm „Peepshow“ von Nicola Piovesan werden italienische Gemälde mit nackten Frauen animiert. Im Hintergrund gibt es zwitscherartiges weibliches Lachen. Ein Traumland für an hübschen Frauen Interessierte.

„Tarim the Brave“ kämpft 20 Minuten lang in dem aufwendig wirkenden Film von Claire Lécuyer „Gegen tausend und einen Effekt“. Ein postmodern-nostalgisches Abenteuer mit Prinzessin, Dämonen und furchtlosen Seeräubern. Wenn riesige Monster drohen, hilft es zunächst auch nicht viel zu ahnen, dass man in einem Film ist. Bei dem im Handyformat gedrehten Kunstkrimi „Santa Maria“ von Erik Schmitt ist man ganz erstaunt, wie viel Erzählstränge in vier Minuten reinpassen. Schließlich gibt es noch den seltsam lakonisch-witzigen 4-Minuten-Film „Fin“ von Pelagie-May Green, der von einem einsamen Spaziergänger am Strand handelt und recht überraschend endet.

Detlef Kuhlbrodt

Infos unter: www.interfilm.de