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KUNST

KunstBeate Schederschaut sich in Berlins Galerien um

Georg Simmel hat den Selbstvernichtungstrieb der Mode einmal so beschrieben: „Das Wesen der Mode besteht darin, dass immer nur ein Teil der Gruppe sie übt, die Gesamtheit aber sich erst auf dem Wege zu ihr befindet.“ Sobald sie völlig durchgedrungen sei, sei es schon wieder vorbei. Was heute en vogue ist, steht morgen im Warenhaus und ist dann nur noch Kommerz. Kann es ein besseres Symbol für Vergänglichkeit und Sterblichkeit geben? Wie ein Gespenst schwebe der Tod über den Waren, während sie darauf warteten gekauft zu werden, schreibt Jamie Isenstein im Text zu ihrer Einzelausstellung bei Meyer Riegger. In „Isenstein’s“ bietet sie wie in einem Kaufhaus allerlei Artikel an, die entweder eine künstliche Erweiterung des Körpers darstellen oder ein fast körperliches Eigenleben entwickeln, wie die eine ihrer fünf Perücken, deren „Haar“ sich aus herunterbrennenden Kerzen selbst produziert, oder die Plakate an der Wand, die sonnengebräunter Haut gleichen: Isenstein hat Badeanzüge auf unbedrucktes Zeitungspapier gelegt und dieses vergilben lassen. Davor steht ein sich drehender Displayturm mit einer Sammlung Vintagebrillen, auf die offene und geschlossene Augen gemalt sind. Isenstein verschiebt die Perspektiven – Betrachtetes wird zum Betrachter, hält seiner Umgebung den Spiegel vor. Nicht nur einen jedoch: An einer Kleiderstange hängt eine ganze Reihe in den Bügeln, sodass sich die Besucher_innen selbst hineinprojizieren. Die Konsumwelt macht auch sie zur Ware.

Noch mehr Kleiderbügel in der zweiten Schau in der Galerie, in der Matt Keegan, Freund und Künstlerkollege Isensteins, sein Projekt „Purple“ präsentiert. Tatsächlich violett ist dabei nur die Wand, an der vier Assemblagen aus seiner Serie „Just my Size“ hängen. Sie setzen sich zusammen aus Bügeln, feinsäuberlich herausgetrennten Bünden, Krägen und Knopfleisten seiner eigenen Kleidung, in Öl nachgemalten Sprachlernkarten und Scherenschnitten. Keegan plädiert für Vieldeutigkeit von Sprache wie von Zeichen – auch mit Textbildern und Stahlarbeiten (bis 23. 12., Di.–Sa., 11–18 Uhr, Friedrichstr. 235).

Hintergründig geben sich auch die Objekte, die Lone Haugaard Madsen bei Nagel Draxler verteilt hat. Die Künstlerin arbeitet mit Fundstücken, mit dem, was Künstlerfreunde aussortiert haben, mit Produktionsresten aus einer großen Wiener Theaterwerkstatt. Manches davon nimmt sie gleich so, anderes bearbeitet sie mit Farbe, Wachs, Metall. Wird es dann erst zur Kunst? Allein durch Haugaard Madsens Zutun? Oder doch erst im Raum, den die Künstlerin zum Gesamtbild komponiert? (bis 7. 1., Di.–Fr., 11–19, Sa., 11–18 Uhr, Weydingerstr. 2/4).

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