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Archiv-Artikel

Die Auferstehung des „Herrn Z“

RUANDA Das UN-Tribunal zur Aufarbeitung des Völkermordes in Ruanda erklärt einen seiner prominentesten Angeklagten aufgrund von Formfehlern für unschuldig und lässt ihn frei

Die wichtigsten Mitglieder des Völkermordnetzwerks sind noch auf freiem Fuß

VON FRANÇOIS MISSER

BRÜSSEL taz | Paukenschlag in der internationalen Justiz: Das UN-Ruanda-Tribunal, das im tansanischen Arusha die mutmaßlichen Hauptverantwortlichen für den Völkermord in Ruanda 1994 mit über 800.000 Toten richtet, hat den Schuldspruch gegen einen seiner prominentesten Angeklagten aufgehoben. Protais Zigiranyirazo, in Ruanda als „Herr Z“ bekannt und einer der mächtigsten Männer im engsten Umfeld der damaligen Regierung, war am 15. Dezember 2008 in erster Instanz zu zwanzig Jahren Haft wegen Anstiftung zum Mord und im Einzelnen zu einem Massaker an 1.500 Menschen verurteilt worden. Der Schwager des zu Beginn des Völkermordes per Flugzeugabschuss ermordeten ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana wurde außerdem beschuldigt, einer der Planer des Genozids an Ruandas Tutsi gewesen zu sein.

Die Berufungskammer unter Leitung des US-amerikanischen Richters Theodor Moron hob das Urteil der ersten Instanz am Montag mit der Begründung auf, es seien „fundamentale Rechtsfehler“ begangen worden. Die erste Instanz habe „Rechtsprinzipien der Gewichtung von Beweisen gegenüber den Alibis der Verteidigung“ nicht berücksichtigt, sagte Tribunalsprecher Roland Amoussouga. Im Einzelnen geht es um den Vorwurf, „Herr Z“ habe am 8. April 1994, zu Beginn des Genozids, Beihilfe und Ermutigung zu einem Massaker an 1.500 Tutsi auf dem Hügel Kesho in der Präfektur Gisenyi geleistet. Und er habe am 12. und 17. April an einer Straßensperre in Kiyovu in der Präfektur Kigali zum Völkermord aufgehetzt.

Die erste Instanz, so die Berufungskammer, habe dem Angeklagten die Beweislast auferlegt, indem sie von ihm verlangte, seine Aussage zu belegen, wonach er in Kesho nicht zugegen war, sondern mit seiner Schwester Agathe Kanziga, Witwe des toten Präsidenten Habyarimana, in Kanombe weilte. Die Anklage hätte stattdessen beweisen müssen, dass dieses Alibi falsch war, heißt es nun. Zwei Zeugenaussagen zugunsten des Angeklagten, die sich gegenseitig widersprachen, seien zudem zu Unrecht für nichtig erklärt worden.

So wurde „Herr Z“ nun auf freien Fuß gesetzt. Er kündigte an, er werde nun Entschädigung für achteinhalb Jahre ungerechtfertigte Haft verlangen. Es ist das erste Mal, dass ein in Arusha wegen Völkermordes Verurteilter auf Berufung freikommt.

Der Gerichtsentscheid sorgt für Kritik. Ruandas Justizminister Tharcisse Karugamana sprach von einem „traurigen Augenblick“ für jene, die sich an die Rolle von „Herr Z“ während des Völkermordes erinnerten.

Der Jurist Eric Gillet, der schon vor dem Genozid in Ruanda Massaker an Tutsi untersuchte, äußerte sich ebenfalls erstaunt. Die Berufungskammer habe aufgrund von Formalien den Angeklagten ganz neu bewertet, ohne dies zu begründen. Sie hätte, so Gillet, das Verfahren stattdessen an die erste Instanz zurücküberweisen müssen. Gravierender noch, so Gillet: Die Berufungskammer fällte ein Gesamturteil aufgrund der Beschäftigung mit zwei Tatsachenbehauptungen. Die Zugehörigkeit Zigiranyirazos zum Netzwerk, das nach Ansicht von Historikern den Völkermord geplant hat, wurde außer Acht gelassen.

Die wichtigsten Mitglieder dieses Netzwerks, genannt „Akazu“ (Häuschen), sind noch immer auf freiem Fuß: die Präsidentenwitwe Agathe Kanziga, die in Frankreich lebt und deren Asylantrag vor kurzem abgelehnt wurde; sowie der in Belgien als Geschäftsmann lebende Bruder Séraphin Rwabukumba. Sie sind reich und einflussreich besonders unter Hutu-Exilanten, und es gibt Vorwürfe, dass sie Abweichler einschüchtern.

Ruandas Völkermordüberlebende sind nun verängstigt und wütend. Yolande Mukagasana, deren Mann und Kinder während des Genozids umgebracht wurden und die ihre Erlebnisse in zwei Büchern verarbeitet hat, äußert in einem Brief, der der taz vorliegt, scharfe Kritik an der Entscheidung des Tribunals und zieht den Schluss, es sei keine ehrliche Aufarbeitung gewünscht. „Die wichtigsten Planer des Völkermords leben in Freiheit in Unterzeichnerstaaten der Genfer Konvention“, schreibt die Ruanderin.

Der komplette Brief von Yolande Mukagasana auf www.taz.de