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Archiv-Artikel

Klinische Chirurgen zerfleischen sich selbst

MEDIZIN Deutschland ist Spitzenreiter bei unnötigen Operationen. Überversorgung schadet Patienten

BERLIN taz | In Deutschland werden zu viele Kniegelenke eingesetzt, Herzkatheter gelegt und Leistenbrüche auch dann operiert, wenn dies medizinisch unnötig ist. Es waren weder Politiker noch nörglerische Krankenkassen, die am Mittwoch in Berlin beklagten, dass vor lauter Ökonomisierung in der Medizin vielen Ärzten der Blick für das Patientenwohl abhanden gekommen sei: Prominente Krankenhauschirurgen baten öffentlich darum, vor sich selbst geschützt zu werden: „Wenn man den Wettbewerb nicht einschränkt, sind die Ärzte keine Heiligen“, warnte Karl-Walter Jauch, Chefarzt am Münchner Universitätsklinikum Großhadern und als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie der Chef-Lobbyist seiner Zunft.

Deutschland leide weder an Ärztemangel noch schlechter Versorgung, sagte der Chirurgie-Direktor der Uniklinik Mannheim, Stefan Post: „Die Überforderung des Einzelnen ist ein relatives Problem, das erzeugt wird von einem Überangebot an Leistungen, verstärkt durch die Existenzängste der zu zahlreichen Krankenhäuser, die im Kampf gegen rote Zahlen per Bonusverträgen auch noch Anreize zur Indikationsausweitung schaffen.“

Als Ausweg plädiert die Chirurgie-Gesellschaft für eine drastische Reduzierung der Gesamtzahl der Krankenhäuser, die Offenlegung leistungsorientierter Verträge sowie eine Abkehr von dem Prinzip, dass ärztliche Leistung anhand der Menge vergütet wird. Patientenorientierte Qualität dagegen verdiene Boni. Unnötige Operationen könnten vermieden werden, indem statt eines einzelnen Arztes ein interdisziplinäres Team über die Notwendigkeit des Eingriffs entscheide. HEIKE HAARHOFF