Konservative Lebensentwürfe

PARTEITAG Bei der Debatte über eine Gleichstellung der Homoehe im Steuerrecht wird es in Hannover emotional. Am Ende setzt sich der Vorstand durch – der Antrag wird abgelehnt

■ Die CDU kann Sozialismus: Merkel wird mit 97,9 Prozent als Parteivorsitzende bestätigt.

■ Alle lieben Merkel. Polizeihund Kira (6) schleckt beim Hallencheck sogar über ihr Namensschild.

■ CSU-Chef Horst Seehofer verspricht, bis zur Wahl nur noch zu „schnurren wie ein Kätzchen“.

■ Aufsteigerin: die neue Merkel-Vize Julia Klöckner (93 Prozent)

■ Absteiger: das alte und neue Präsidiumsmitglied Philipp Mißfelder (nur 55 Prozent)

■ Die CDU bekennt sich zu Kristina Schröders Flexi-Quote.

■ Der CDU-Parteitag liebt auch McDonald’s. Dort gibt’s Latte macchiato und Apfelschnitzel.

■ Bei der Rede des bekennenden McDonald’s-Fans David McAllister schwenken Anhänger Schilder mit der Aufschrift „I’m a Mac!“.

■ Seehofer und Volker Kauder warnen vor Schwarz-Grün. Niemand hat die Absicht, 2013 eine Koalition mit der Ökopartei …

■ Die CDU setzt sich „intensiv“ für den Ausbau der Breitbandversorgung auch auf dem Lande ein. WLAN beim Parteitag kostet 35 Euro – und fällt ab und zu aus. (us)

AUS HANNOVER ULRICH SCHULTE

Am Ende sagt Jens Spahn dann doch noch einen Satz, der verrät, dass ihn die Debatte auch persönlich trifft. Er ist auf der Bühne vor dem riesigen CDU-Logo schon am Ende seiner Rede angekommen, da ruft er, dass ihn eine Formulierung des Bundesvorstandes wirklich ärgere. „Ich verwirkliche mich nicht selbst. Ich bin einfach, wie ich bin.“

Spahn spielt auf einen Satz an, den die Antragskommission eigentlich gut gemeint hat. Die CDU respektiere auch die Entscheidung von Menschen, „die in anderen Formen der Partnerschaft ihren Lebensentwurf verwirklichen“, schreibt sie in ihrem Kompromissvorschlag. Lebensentwurf. Verwirklichen. So beschreibt der CDU-Vorstand im Jahr 2012 Homosexualität.

Dies ist das wichtigste Streitthema auf dem dreitägigen CDU-Parteitag in Hannover, der ansonsten sorgsam Konflikte vermeidet: Die gefeierte Kanzlerin und der Bundesvorstand wollen eingetragenen Lebenspartnerschaften von Schwulen und Lesben die Steuervorteile des Ehegattensplittings vorenthalten. Eine Gruppe Bundestagsabgeordneter um Spahn und den Juristen Jan-Marco Luczak wirbt für die Gleichstellung. Und sammelt auf Anhieb 111 Unterstützerunterschriften für ihren Initiativantrag. Auf dem disziplinierten CDU-Parteitag kommt es zum Kulturkampf.

Spahn zeigt, das Homosexualität in der Christdemokratie heutzutage kein Karrierehemmnis mehr ist. Der 32-Jährige wurde in Ahaus im konservativ geprägten Münsterland geboren, machte Abitur an der Bischöflichen Canisiusschule und trat mit 15 Jahren in die Junge Union ein. Dort machte der Bankkaufmann rasant Karriere, zog mit 22 in den Bundestag ein, ist heute als Gesundheitsexperte der Unions-Fraktion weithin anerkannt. Und, ach ja: Spahn ist schwul.

Ruhig erklärt er den rund 1.000 Delegierten, warum Schwule und Lesben gleiche Rechte im Steuerrecht haben sollten. In Lebenspartnerschaften erklärten zwei Menschen rechtlich verbindlich, auf Dauer füreinander einzutreten, sagt er. „Wir sind die Wertepartei. Wir sollten diese Debatte offensiv führen.“ Die Ehe zwischen Mann und Frau werde gestärkt, wenn andere Menschen ähnliche Bindungen anstrebten. „Es ist nicht fair, die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften auszuspielen gegen Ehe und Familie.“

Seine Gegner stellen genau diesen Bezug her. Walter Arnold, Landtagsabgeordneter aus Fulda, Schnäuzer und streng zurückgekämmte Haare, hat vor Spahn für die Position des Vorstands geworben. Es gehe nicht um die Diskriminierung von Homosexuellen. „Aber wir treten für die steuerliche Förderung und Privilegierung der Ehe ein, vor allem der mit Kindern.“ An diesem Grundwert müsse die CDU festhalten.

Niemand will Diskriminierung: Diesen Satz hört man in der ruhigen, ernsthaften und oftmals mit klugen Argumenten geführten Debatte von den Gleichstellungsgegnern immer wieder. Der Kreisverband Fulda hatte einen Antrag gestellt, der sich in scharfer Diktion gegen die Gleichstellung wandte. Der Bundesvorstand übernahm im Kern die Position, schliff aber die Schärfe ab und fügte Toleranzbekundungen ein.

Im ersten Halbjahr 2013 wird das Bundesverfassungsgericht vermutlich ein Urteil zum Ehegattensplitting fällen. Bisher hatte Karlsruhe immer wieder auf Gleichstellung gepocht. Luczak empfiehlt seiner Partei deshalb, eine erwartbare Niederlage zu vermeiden. „Karlsruhe hat nicht nur mit einem Zaunpfahl, sondern mit einem ganzen Zaun gewunken.“

„Ich verwirkliche mich nicht selbst. Ich bin, wie ich bin“

JENS SPAHN IN SEINER REDE

Der Chef der Landtagsfraktion in Sachsen, Werner Steffen Flath, entgegnet, die CDU dürfe nicht aufs Gericht schielen. Er argumentiert mit seinem katholischen Glauben. Die Ehe zwischen Mann und Frau sei ein Sakrament. „Ehe und Familie sind für den Fortbestand unserer Gesellschaft etwas ganz Besonderes.“

Viele Delegierte applaudieren bei solchen Sätzen. Die Debatte berührt die CDU in ihrem Grundverständnis. Teilweise wird es da emotional: Eine alleinerziehende Mutter erzählt am Mikrofon fast unter Tränen, dass sich Partner nach Trennungen oft nicht mehr um die Kinder kümmern – mit dem Thema hatte dies allerdings nichts zu tun.

Christa Thoben, die ehemalige Wirtschaftsministerin Nordrhein-Westfalens, warb in einer angenehm klaren Rede für die fortschrittliche Position. „Es geht nicht darum, die Ehe abzuqualifizieren“, sagt sie. „Es geht darum, den anderen eine Chance zu eröffnen, die sie zutiefst verdient haben.“ Dafür sei Spahns und Luczaks Antrag sachgerecht.

Die große Mehrheit sieht das anders, sie stützt am Ende die Position des Bundesvorstands. Vorn lächelt Generalsekretär Hermann Gröhe zufrieden. Hinten, in den Delegiertenreihen, versucht Jens Spahn, das Gute in seiner Niederlage zu sehen. Es habe immerhin deutlich spürbare Unterstützung gegeben. „Und es war eine gute, faire und in weiten Teilen sachliche Debatte.“