leserinnenbriefe
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Haftzeit sinnvoll füllen

betr.: „Vielleicht war es doch die große Liebe“, taz vom 27. 10. 2016

Mit Interesse habe ich über den Film zu dem wegen Mordes in den USA zu zweimal lebenslänglicher Haft Verurteilten und Inhaftierten gelesen. Jens Söring hat selbst ein Buch geschrieben: „Wiederhole schweigend ein Wort. Wege zur inneren Freiheit“. Ihr Artikel wirft eine Frage auf, die viele Inhaftierte bewegt: Wie kann die Zeit einer – womöglich als zu hart und daher sinnlos empfundenen – Haftstrafe dennoch als eigene Lebenszeit „sinnvoll“ gefüllt werden? Söring geht es um den Weg innerer Freiheit durch das Üben einer aus der christlichen Praxis entstandenen Meditationsform. „Kloster im Gefängnis“ ist eine Form davon. Sie steht im Kontext unter anderem in der Gefängnisseelsorge, in der ich arbeite, Alternativen zu einem nur an Sicherheit und Verwahrung orientierten Vollzug zu erarbeiten, zu erkämpfen und umzusetzen. Susanne Büttner,Aalen

Nichtsichtbarmachung des Protests

betr.: „Thügida marschiert“, taz vom 1. 11. 2016

Den Ausflug Micha Brumliks in die Kulturgeschichte: geschenkt. Ja, dass die Nazis von Thügida am Hitler-Geburtstag marschieren konnten, ist ein Schlag ins Gesicht, so wie jedes Mal, wenn sie marschieren dürfen. Aber antifaschistisches Engagement quasi unerwähnt zu lassen, ist ebenso ein Schlag ins Gesicht. Es ist schade, dass der Autor nicht erwähnt, dass die Jenaer*innen, die am 17. August protestierten, diesen Thügida-Marsch erfolgreich blockierten. Ja, Wasserwerfer kamen zum Einsatz, aber das ist die „traurige“ Normalität. Es ist schade, dass der erfolgreiche Protest von 3.000 Menschen so kleingeredet wird. Auch wird nicht erwähnt, dass die Nazis im vergangenen Jahr bei einer Veranstaltung wegen des antifaschistischen Protests gar nicht erst loslaufen konnten.

Ja, es gibt in Thüringen ein Problem mit Nazis. Nazis, die vor allem aus den ländlichen Regionen und kleineren Städten kommen und versuchen, die Städte Jena und Weimar „zurückzuerobern“. Sie nutzen bewusst Symboliken und historische Daten, um zu provozieren. Und es ist längst nicht alles gut im Protest gegen diese Nazis. An vielen Orten, insbesondere im ländlichen Raum und kleinen Städten, sind Institutionen und Polizei überfordert. Der Zivilgesellschaft allerdings Apathie zu unterstellen und der Politik Versagen vorzuwerfen, ist jedoch dreist, insbesondere in einer Zeit, in der inzwischen offen Morddrohungen gegen Politiker*innen ausgesprochen werden, wie im „Fall Katharina König“. Vielleicht ist das auch Teil des Problems: Die unzulässige Verkürzung und Nicht-Sichtbarmachung des Protests, der antifaschistisch Engagierte schon mal entmutigen kann. Und so hat das Ganze im Sinne einer Selffulfilling Prophecy dann vielleicht doch etwas Wahres. Jonas Graeber,Jena