: Der Präsident der vielen Versprechen
AMTSEID Karsai sagt in seiner Antrittsrede, was seine westlichen Unterstützer hören wollen. Wie er das umsetzen will, bleibt unklar
■ 51, ist der Sohn eines mutmaßlich von den Taliban ermordeten Führers des Paschtunenclans Popalsai aus der Provinz Kandahar. Er studierte Politikwissenschaften in Indien. In der Regierung der Mudschaheddin war er von 1992 bis 1994 Vizeaußenminister. Nach dem Sturz der Taliban wurde er 2001 zum Übergangspräsidenten ernannt, 2002 durch eine Loja Dschirga bestätigt und 2004 von der Bevölkerung gewählt. Bei den Präsidentschaftswahlen vom 20. August 2009 verfehlte er die absolute Mehrheit, nachdem ihm auf Druck westlicher Vertreter zahlreiche gefälschte Stimmen aberkannt worden waren. Die für den 7. November angesetzte Stichwahl wurde abgesagt. (han)
VON SVEN HANSEN
Bekleidet mit dem typischen grün-blau gestreiften usbekischen Umhang und Lammfellmütze, legte der 51-jährige Hamid Karsai gestern vor dem Obersten Richter des Landes den Eid für seine zweite Amtszeit ab. In seiner Rede stellte er in Aussicht, dass die afghanische Armee und Polizei innerhalb von drei bis fünf Jahren die Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernehmen werden, versprach ein entschlossenes Vorgehen gegen Korruption und Drogenhandel sowie die Einberufung einer großen Ratsversammlung („Loja Dschirga“).
An der schwer bewachten Zeremonie im Kabuler Präsidentenpalast nahmen rund 800 Gäste teil, darunter 300 aus dem Ausland. Außer dem afghanischen Staatsfernsehen waren keine Medien zugelassen. Anschließend vereidigte Karsai seine beiden Vizepräsidenten, den Warlord der schiitischen Volksgruppe der Hasara, Karim Khalili, und den tadschikischen Warlord und Exverteidigungsminister Mohammed Kasim Fahim. Insbesondere Letzterer gilt vielen Beobachtern als nicht tragbar. Doch Karsai hatte ihn nominiert, um seinem wichtigsten Gegner Stimmen der Tadschiken abzunehmen.
„Die Regierung von Afghanistan ist entschlossen, die Kultur der Straffreiheit und die Verletzung des Rechts zu beenden und jene der Justiz zuzuführen, die Korruption und den Missbrauch des öffentlichen Eigentums verbreiten“, sagte Karsai. Mit seinen vollmundigen Versprechen bediente er exakt die Wünsche der ihn stützenden westlichen Regierungen. Diese – vertreten durch die AußenministerInnen der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands – verlangen schon seit Wochen ein entschlossenes Vorgehen gegen Korruption. Afghanistan belegt in dem von Transparency International in dieser Woche veröffentlichten Korruptionsindex den vorletzten Platz.
Karsai versprach, in seine neue Regierung kompetente und professionelle Minister zu berufen. Mit der Bekanntgabe des Kabinetts wird in etwa zwei Wochen gerechnet. Konkret versprach Karsai, der seinen Wahlsieg selbst massiven Manipulationen verdankt, eine Konferenz durchzuführen, auf der neue Vorschläge zur Korruptionsbekämpfung gemacht werden sollen. Außerdem schlug er vor, dass künftig alle Minister und Gouverneure ihre Vermögensverhältnisse offenlegen müssten.
Karsai hatte in den vergangenen acht Jahren schon mehrfach versprochen, gegen Korruption vorzugehen. Außenminister Guido Westerwelle sagte: „Wir werden Präsident Karsai beim Wort nehmen und setzen darauf, dass den richtigen Worten jetzt auch die richtigen Taten folgen.“
Erst am Mittwoch hatte die Washington Post dem afghanischen Bergbauminister unter Berufung auf US-Quellen vorgeworfen, 2007 den Zuschlag für die 2,9 Milliarden Dollar teure Erschließung und Ausbeutung einer Kupfermine südlich von Kabul gegen 29 Millionen Dollar Schmiergeld an eine chinesische Firma vergeben zu haben. Der Minister, ein Vertrauter des Karsai stützenden Warlords Abdul Raschid Dostum, wies den Vorwurf zurück.
Auch mit dem Versprechen, dass afghanische Kräfte in drei bis fünf Jahren komplett die Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernehmen sollen, entspricht Karsai dem Wunsch westlicher Regierungen. Erst zu Wochenbeginn hatten etwa der Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, der britische Premier Gordon Brown und der deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg erklärt, dass afghanische Kräfte bereits 2010 in einigen Regionen die Verantwortung übernehmen sollten. Westliche Regierungen stehen unter großem Druck, ihrer Bevölkerung Ausstiegstermine anzubieten.
Karsais Versprechen, die afghanische Armee und Polizei könnten in naher Zukunft für die Sicherheit im Land verantwortlich zeichnen, setzt jedoch zunächst eine massive Aufstockung der Ausbildungskapazitäten durch die Nato-Staaten in Afghanistan voraus und bedeutet somit kurzfristig gerade keine Reduzierung. Freude dürfte Karsais Ankündigung, innerhalb der nächsten zwei Jahre die Aktivitäten privater Sicherheitsfirmen zu beenden, bei Afghanen auslösen. Diese Söldnerfirmen operieren oft außerhalb des Rechts.
Karsais Vorschlag einer Loja Dschirga zur politischen Versöhnung im Land wie auch die Einladung an Gegner aus dem Wahlkampf zu einer Regierungsbeteiligung ist eine Versöhnungsgeste. Sie zeigt zugleich seine geringe Legitimation und große Schwäche. Da sein unterlegener Herausforderer Abdullah Abdullah bereits eine Regierungsbeteiligung ablehnte und die Taliban nur zu Verhandlungen bereit sind, wenn die ausländischen Truppen abziehen, haben Karsais Vorschläge kaum Realisierungschancen.