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„Wir konnten alles anders machen“

Gesichter der taz II Jan-Paul Koopmann, Redakteur der taz seit 2014, im Gespräch mit Dirk Asendorpf, Mit-Gründer der Bremer „Freitags-taz“ der Jahre 1984/1985, über die Anfänge der taz als selbstverwaltetes Projekt – und über die Zukunft eines Mediums, das nicht jede Nachricht abbildet

Jan-Paul Koopmann (JPK): Du hast vor 32 Jahren bei der taz in Bremen angefangen. Wie kam das?

Dirk Asendorf (ASE): Als ich 1984 in Bremen zur taz kam, wusste ich noch gar nicht, dass es hier einen Lokalteil geben würde. Ich wollte Journalist werden. Und wollte gern bei der taz arbeiten.

JPK: In Bremen?

ASE: Ich hatte in Spanien studiert und dort den Auslandskorrespondenten kennengelernt. Unter seiner Aufsicht hatte ich meine ersten taz-Artikel geschrieben. Dann bin ich nach Bremen gekommen, um mein Studium fertig zu machen und habe gehört, dass es da auch einen Korrespondenten gibt. Ich habe mich bei ihm für ein „Praktikumssemester“ beworben – und hatte meine Finanzierung dabei. So was fand Klaus Wolschner schon immer charmant. In seiner Küche haben wir überlegt, was es für mich zu tun gibt und er erzählte, dass es die Idee gebe, eine lokale Ausgabe in Bremen zu gründen, anfangs einmal die Woche. Mein erster Besuch in der Berliner taz-Zentrale war eine Vorstandssitzung, auf der über das Bremer Projekt entschieden wurde.

JPK: Und wie habt ihr die überzeugt, dass die Welt eine Bremer taz braucht?

ASE: Das hat niemanden interessiert. Aber wir hatten die Finanzierung in der Tasche, das war überzeugend. Wir wollten was machen, was die taz nichts kostete. Die Abstimmung war 3:2 für uns. Der Berliner taz-Vorstand hat mit dem Bremen-Teil keine publizistischen Pläne verbunden. Wichtig war denen nur, dass wir quotiert waren.

JPK: Das sind wir nicht mehr.

ASE: Das ist der Gang der Dinge, wenn man sich nicht anstrengt. Die ZEIT, für die ich jetzt viel arbeite, hat das geschafft und viele junge Frauen eingestellt.

JPK: Wieso wolltest Du zur taz? ASE: Ich lese die taz seitdem es sie gibt, ich fand das eine faszinierende Möglichkeit, Journalismus zu machen.

JPK: Inwiefern?

ASE: Das war die einzige Tageszeitung, die nicht einem großen Verlag gehörte, der damit vor allem Geld verdienen will, die taz war ein Projekt. Wir haben damals in Projekten gelebt und gedacht. Wir wollten die Welt verändern, aber nicht indem wir Manifeste verfassten, sondern indem wir unser eigenes Leben anders organisieren. Wir haben in WGs gelebt, und so konnte man bei der taz die Arbeit organisieren. Natürlich war das eine links-alternative Szene, zu der ich mich zugehörig gefühlt habe. Aber vor allem war für mich wichtig, dass das ein selbstverwaltetes Projekt war. Wir hatten ein großes Selbstbewusstsein und hatten die Möglichkeit, alles anders zu machen, so wie wir es wollten. Und jeder konnte und musste gleich ganz viel selbst machen.

Jan-Paul Koopmann

hat Philosophie und Kulturwissenschaften in Oldenburg und Hagen studiert. Für die taz schreibt er seit Oktober 2013, seit 2014 ist er Redakteur. Gerade ist er allerdings fast mehr für Spiegel Online und die Kreiszeitung tätig als für die taz.

JPK: Das ist heute auch noch so.

ASE: Seit wann weißt du, dass du Journalist werden willst?

JPK: Ich habe immer schon geschrieben. Meine erste Homepage habe ich aus dem Computerraum der Schule betextet, weil private Internetanschlüsse damals noch totaler Luxus waren. Dass ich jetzt hier bin, liegt wahrscheinlich eher an der taz als am Journalismus.

ASE: Wie das?

JPB: Ich habe mich hier beworben, weil die taz immer irgendwie wichtig für mich war. Meine Eltern hatten die im Abo, ich dann auch immer mal wieder. Eigentlich wollte ich vor allem Kulturtexte schreiben und bin dann einfach ganz geblieben. Das hat politisch und persönlich sofort funktioniert. Wenn ich hier nicht mehr wäre, wäre ich vielleicht auch nicht Journalist – zumindest nicht hauptberuflich.

ASE: Was würdet du dann machen?

JPK: Keine Ahnung. Vorher habe ich Philosophie studiert und Sandwiches verkauft. Das lockt beides nicht mehr so richtig.

ASE: Heute gehen die meisten in den Online-Bereich und verwirklichen sich da. Warum gehst du zum Papier, der Zeitung deiner Eltern?

Tageszeitungen können sowieso nicht abbilden, was alles passiert. Das Stadtgespräch bekommt heute jeder im Internet mit. Wenn wir dann ausgewählt tiefer schürfen, ist das gutJan-Paul Koopmann, Redakteur DER taz.BremeN

JPK: Im Internet hatte ich einen Leserkreis, der ungefähr so getickt hat wie ich. Bei einer politischen Tageszeitung hat man eine andere Art von Öffentlichkeit, nicht nur die eigenen Kreise. Ich streite mich heute lieber mit meinen Lesern, als mir vorher schon einig zu sein. Unsere Texte werden, wenn es um Aufreger-Themen geht, ja auch auf Facebook noch über die taz hinaus verbreitet und heftig diskutiert.

ASE: Diese Kommentare sind doch zu 90 Prozent Quatsch.

JPK: Stimmt, viel Gesinnungsgepöbel – aber die übrigen zehn Prozent sind die Mühe schon wert.

ASE: Für uns hatte das Papier etwas Faszinierendes, jeden Abend ein fertiges Produkt in der Hand. Die taz ist aber nun doch ein Holzmedium.

JPK: Ich freue mich ja auch, wenn ich das Papier im Briefkasten finde. Trotzdem wird die Online-Verbreitung immer wichtiger.

Wieso bist du weg von der taz?

ASE: Ich habe zwölf Jahre bei der Bremer taz gearbeitet, das ist schon lange. Ich hatte dann eine Familie, das war auch Wohngemeinschaft. Und wir sind für drei Jahre nach Südafrika. Danach hatte ich das Gefühl, ich will gerne etwas anderes machen, weg von den Bremer Lokalthemen. Das war die Zeit der Großen Koalition, politisch eingeschlafen.

JPK: Und bei der ZEIT ist jetzt alles ganz anders?

ASE: Ich habe da eine andere Rolle, ich bin Pauschalist, gehe vielleicht einmal im Monat auf die Konferenz. Bei der taz haben wir Zeitung gemacht, wir haben morgens angefangen, überlegt, was die Themen des Tages sind, abends hatten wir das Papier in der Hand. So etwas habe ich jetzt natürlich nicht mehr. Wir hatten für die Arbeit der Koordination der Zeitung ein Rotationsmodell, das war anstrengend, aber auch gut. Jeder musste mal „Chef vom Dienst“ spielen. Jetzt verfolge ich meine Themen, reise viel.

JPK: Die Rotation gibt es noch.

ASE: Hast du Lieblingsthemen?

JPK: Ich bin die Hälfte meiner Zeit hier mit den Kulturseiten beschäftigt und damit auch sehr glücklich. Wobei mir die großen Events gar nicht so wichtig sind. Mich interessiert eher: Was sagt mir das Stück über die Gesellschaft.

ASE: Das große Theater im Rathaus ist langweilig im Verhältnis zum Theater auf der kleinen Bühne?

Dirk Asendorpf

hat Sozialwissenschaften in Oldenburg, Madrid und Bremen studiert. Von 1985 bis 1996 arbeitete er bei der taz in Bremen und seitdem frei, vor allem für Die Zeit, SWR und Deutschlandradio.

JPK: Es gibt schon auf beiden Bühnen Dinge, die mich beschäftigen. Aber es ist schon richtig, dass mich die durchschnittliche Bürgerschaftssitzung weniger provoziert als ein guter Theaterabend. Oder ein schlechter.

ASE: Es gab gerade von Bremens grüner Finanzsenatorin Karoline Linnert eine Erfolgsmeldung, dass sie bei den Bund-Länder-Verhandlungen viel herausgeholt hat. Hat das in der Lokalredaktion jemanden interessiert?

JPK: Klar – das hätten wir auch machen müssen. Aber ausgerechnet an dem Tag war dann keiner hier, der sich darum kümmern konnte. Unser Personalmangel ist ja manchmal sogar noch schlimmer als das Organisationschaos. Aber auch wenn es gut läuft, haben wir sehr viele Liebhaber-Themen und weniger ein Pflichtgefühl nach der Art: Mitreden, wo alle dran sind. Bei den Sachen, für die sich jemand richtig interessiert, sind wir dafür dann aber auch richtig gut.ASE: Ich lese eine Zeitung, um das Wichtige nicht zu verpassen.

JPK: Tageszeitungen können sowieso nicht abbilden, was alles passiert. Das Stadtgespräch bekommt heute jeder im Internet mit. Und wenn wir dann ausgewählt tiefer schürfen, oder gerade die Sachen auf die Agenda hieven, um die sich sonst keine Sau kümmert, ist das doch gut. Und wir beschränken uns ja auch gar nicht auf dieses Papier, sondern gehen auch massiv in den Online-Bereich. Protokoll:kawe

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