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Archiv-Artikel

Wenn alle Strippen reißen

Ferdinand Piëch könnte am kommenden Montag aus dem VW-Aufsichtsrat abgewählt werden. Weil viele den Ex-Boss von Volkswagen für schuldig an der Konzern-Krise halten, drohe ihm ein „Putsch“

von Kai Schöneberg

Was nützt es, wenn unter dem VW-Dach Bugattis mit 1.001 PS zum Preis von 1,2 Millionen Euro gebaut werden, aber der Absatz des Brot-und-Butter-Autos Golf stottert? Was nützt es, wenn VW mit dem Nobelschlitten Phaeton Prestige einfährt, aber dafür Entwickler-Kapazitäten in Wolfsburg fehlen? Zahlte VW seinen Betriebsräten Viagra? In der Zeit angeblicher Lustreisen und Tarnfirmen wird leicht unterschlagen, dass es Europas größtem Autobauer derzeit mies geht: Absatzkrisen in China und den USA, die Stammmarke VW läuft mit Verlust.

Viele der derzeitigen Entscheider am Mittellandkanal und beim Noch-Mehrheitsaktionär, dem Land Niedersachsen, nennen als Grund die Macht von SPD, IG Metall und Betriebsrat. Dass gestern auch Ex-Personalchef Peter Hartz ins Visier der Staatsanwälte rückte, stimmt sie zufrieden. Dass Volkswagen zum lame duck mutierte, hat für die Pischetsrieders und Wulffs aber noch eine zweite Ursache: Ferdinand Piëch.

Der Enkel Ferdinand Porsches, dem Konstrukteur des VW-Käfers, sieht die VW AG im Grunde als Erfindung und Eigentum seiner Familie. Als der Ingenieur Piëch im Jahr 1993 von Audi an die Spitze von VW wechselte, waren Kosten wie Zahl der Beschäftigten zu hoch – wie heute. Piëch holte Ignacio López von Opel als Einkaufschef zu VW, Hartz bewahrte durch die Einführung der Vier-Tage-Woche Zehntausende vor der Entlassung. Und: Der Konzern-Umsatz verdoppelte sich binnen sieben Jahren. Nach einem Verlust von 1,8 Milliarden Mark 1998 kamen 2000 wieder vier Milliarden Mark in die Kasse. Piëch war bereits damals umstritten: rüde Chef-Allüren, das wahnsinnige Engagement in der Luxusklasse, die angeblich gestohlenen Geheimunterlagen in der López-Affäre, 180 Millionen Euro Strafzahlungen an die EU.

Als vor kurzem bekannt wurde, dass Porsche Mehrheitsaktionär bei VW werden will, dürften viele VW-Bosse aufgeatmet haben. Der Aufsichtsrat hatte zuletzt mit großer Besorgnis registriert, dass VW wegen des schwächelnden Aktienkurses Opfer einer feindlichen Übernahme werden könnte: Hedge-Fonds hätten den Konzern zerstückeln, Toyota, weltweit die Nummer Zwei, hätte mit einem Jahresgewinn leicht einsteigen und die Jobs bei der deutschen Konkurrenz downsizen können. Piëch dürfte seine Finger bei dem Coup mit im Spiel gehabt haben. Den Familien Porsche und Piëch gehören 100 Prozent der Porsche-Stammaktien. Ferdinand ist im Aufsichtsrat beider Firmen, bei VW als Vorsitzender.

Genau diese Eigenschaft könnte dem Patriarchen bei der VW-Aufsichtsratssitzung am Montag zum Verhängnis werden: Dem Strippenzieher droht die Abwahl. Da Porsche dort zwei neue Sitze beansprucht, soll der 68-Jährige gehen. Die Doppelrolle in beiden Kontrollgremien führe zu Konflikten, fünf Mitglieder im 20-köpfigen Aufsichtsrat wollten einen „Putsch“ gegen Piëch inszenieren, schreibt die FTD. Gestern stellte sich nur die IG Metall hinter Piëch. Zeitgleich betonte Aufsichtsratsmitglied Christian Wulff in der Süddeutschen, der Corporate Governance Kodex müsse auch bei VW eingehalten werden, Interessenkollisionen in der Führung seien zu vermeiden. Dem CDU-Ministerpräsidenten, der sich sonst wenig um den Manager-Kodex kümmert, ist Piëch als Symbol für alte Strukturen bei VW verhasst. Vielleicht kann sich der angeblich viertreichste Mann Österreichs schon bald dem Plan widmen, den er nach seinem Abgang als VW-Boss im Jahr 2002 hatte: Eine Weltumrundung per Segelschiff.

Mehr zur VW-Krise: siehe Seite 6