LeserInnenbriefe
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Denunziatorische Triebkräfte

betr.: „Sound des humanitären Journalismus“, taz vom 27. 10. 16

Danke, dass Danilo Scholz gegen die entwertenden und dumpfen Polemiken einiger Personen an Carolin Emcke und ihrem Beitrag zum öffentlichen Diskurs angeht. Leider analysiert er aber nicht die denunziatorischen Triebkräfte, sodass auch er ins machistische Fahrwasser gerät: aggressive selbstgerechte Vorwürfe, trotzige Verweigerung, sich berühren zu lassen, Denunzierung von Leiden, Gefühl, menschlicher Haltung und Empathie.

Emcke arbeitet genau gegen die Verwahrlosung und Verrohung der politischen Kultur an, die ihr nun mit fehlendem Respekt und Wertschätzung von einigen Personen entgegenschlägt. Als „schlaumeiernden Tadel“ kritisierte Küppersbusch am Montag diese Haltung der Kritiker; leider etwas verharmlosend.

Anstatt Emcke Achtung zu erweisen und ihre Beiträge differenziert darzulegen, versucht Scholz allen Ernstes nachzuweisen, dass Schlingensief mit einer seiner vielen Aktionen besser gewirkt haben soll. Mann oh Mann?! Emcke bringt sehr wertvolle Beiträge und wirkt – das gälte es zu (be-)achten und dort zu erweitern und zu ergänzen – wo Herr Autor meint, auch etwas Kluges beitragen zu können. Das scheint ein Stachel im Fleisch der Selbstgerechten zu sein: all die SchriftstellerInnen, JournalistInnen, PolitikerInnen und Menschen, die ihrer Verantwortung für einen respektvollen gesellschaftlichen Diskurs mit klarem Bezug auf menschenrechtliche Standards und humanistische Einstellungen wirklich gerecht werden und dem rechten Denken und Handeln entgegenwirken, wie es von all den Walsers, Seehofers, Öttingers, vielen FAZkes und vielen Zeitlern …hetzend betrieben wird.

Sehr deutlich, aber doch eher unfreiwillig und unverstanden, markiert Scholz in „Emotionen“ und dem „Leiden“ und dem Versuch, davon zu sprechen, den anstößigen Kern ihres Wirkens. Ihr radikales, atemstockendes Buch heißt ja: „Weil es sagbar ist“.

Im Schlusssatz dann aber derjenigen, die überhaupt Leiden empathisch thematisiert, vorzuhalten, sie würde es nicht begrifflich fassen können, ist ärgerlich; wenn man es hier nicht mit oberflächlicher Besserwisserei abtun will, ist es: denunziatorisch. Was trägt Herr Scholz dazu bei, Leiden begrifflich zu fassen? Wodurch bringen all die Kritiker Emckes den öffentlichen Diskurs weiter? Wie viel aufschlussreicher, interessanter und menschlicher sind da alle Sätze von Emcke, seien es theoretisch fundierte oder auch ganz kleine, detaillierte Beschreibungen von Wahrnehmungen, des Leidens oder des Verlustes von Menschlichkeit in rassistischen Aussagen, Handlungen und Haltungen. Was haben dagegen all die Kritiker zu bieten?

Und in vielen ihrer materialen Analysen geht es ja ums Geschlechterverhältnis, um männliche patriarchale Gewalt gegen Frauen (und Kinder). Da lässt sich nur vorschlagen: He, ihr neunmalklugen Männer, Genderstudies nur zu lesen reicht nicht, mann muss (und kann) sie auch verstehen und begreifen.

WOLFGANG KOPYCZINSKI, Frankfurt am Main

Eine schöne Meldung

betr.: „Teneriffa will Lutz Bachmann nicht“, taz vom 31. 10. 16

Seit Langem mal wieder eine schöne Meldung in der Presse – und was für eine! Da kommt so ein dahergelaufener Ausländer nach Teneriffa und denkt, er kann es sich dort gut gehen lassen – und dann haben die Einwohner was dagegen! Na so was! Warum nur? Warum wird diesem Flüchtling mit so viel Argwohn begegnet? Ein Hoch auf die Teneriffen! Einfach wahre Europäer. Chapeau! STEPHAN VÖLZ, Hamburg

Lieber Jasager sein

betr.: „Ceta. Unverhüllte Drohungen“, taz vom 29. 10. 16

So lasst uns nicht als Neinsager untergehen, sondern als Jasager: Ja zu Klagerechten von Arbeitnehmerverbänden, wenn Konzerne nach Abschöpfen der Subventionen die Werkstore wieder schließen. Ja zu Klagen über entgangene Löhne, wenn der Betrieb aus Gewinnmaximierung ins Ausland verlegt wird. Ja zum Sägezahnprinzip beim Mindestlohn. In diesem Sinne, denn: Beim EU-Parlament wird die Lobby aufpassen und diejenigen mit „Arsch in der Hose“ oder die wie die Belgier einfach nur ihre Arbeit machen, ruhigstellen. MARTIN BOSCH, Geestland

Politische Vision fehlt

betr.: „Merkels Mantra“, „Fünf für die Mitte“, taz vom 29. 10. 16

Der Analyse von Ulrich Schulte zur grünen Steuerpolitik kann ich einiges abgewinnen. Das Problem ist mir allerdings zu wenig herausgearbeitet. Ich empfand die grünen Steuervorschläge als technokratisch. Sie hatten alles genau durchgerechnet, das war auch gut so. Aber die politische Vision fehlte.

Die Grünen wurden nicht wirklich ernst genommen als eine Partei, die konsequent für Umverteilung und gegen Ungerechtigkeit in dieser Gesellschaft eintritt. Wie schreibt so treffend Astrid Séville: „Wir brauchen …politische Akteure, die wählbare Alternativen formulieren …“ Was ist denn schon noch groß alternativ an der Politik der Grünen? MICHAEL DROSS, München

Man reibt sich die Augen

betr.: „Günther-Gate belastet Juncker“, taz vom 1. 11. 16

Die Äußerungen Oettingers in seiner Rede waren rassistisch, homophob und frauendiskriminierend. Schlimm genug. Aber die Bundeskanzlerin setzte noch einen drauf, indem sie ihm das Vertrauen aussprach. Man reibt sich die Augen. Extrem rechtes Gedankengut wird von einer Bundeskanzlerin der Bundesrepublik als Petitesse behandelt. EBERHARD BUEB, Breisach