Berlinmusik
: Elegant verschachtelt

Warum immer mit dem Anfang anfangen? Der Gitarrist Ronny Graupe zumindest scheint sein zweites Soloalbum „The White Belt“ mittendrin beginnen zu lassen. Das Stück „Kappler Drehe“ steht auf einmal im Raum, man fragt sich, ob die ­Melodie, die man hört, die ­Vorstellung des Themas ist oder Teil eines Solos. Ebenso unvermittelt ist das Stück wieder zu Ende.

Ronny Graupe gehört zu den großen Berliner Gitarristen der jüngeren Generation – mit Mitte dreißig kann man heutzutage ja noch als jung durchgehen. Er gehört darüber hinaus auch zum Jazzkollektiv Berlin, das sich dem abenteuerlicheren Jazz verschrieben hat. Doch lautes Auftreten ist Graupes Sache nicht zwangsläufig. In seiner Formation bevorzugt er, gemeinsam mit dem dänischen Bassisten Jonas Westergaard und dem Schlagzeuger Christian Lillinger, eher leisere Töne, Melodien, die auf den ersten Eindruck unscheinbar daherkommen, sich aber als höchst elegant komplex erweisen.

Das Trio übt sich in virtuoser Zurückhaltung, baut dezente Verschiebungen und kaum merkliche rhythmische Stolpersteine ins Gesamtbild ein, ohne die Verschachtelungen allzu demonstrativ auszustellen. Im Titelstück dann folgt ein Folk-Solo, jedenfalls meint man das zu hören. Doch Graupe arbeitet gern mit trügerischen Oberflächen, deren Charakter sich unter der Hand in etwas Unerwartetes verwandeln kann – im reduziert-flirrenden „Sunset Setting“ etwa –, ohne dass man richtig mitbekommt, wie er das tut. Er artikuliert einfach in aller Ruhe ein Idiom, eindringlich und souverän, ohne dabei unverständlich zu wirken.

Ein recht anderes Vokabular bedient Graupe in nur geringfügig veränderter Besetzung. Zusammen mit Lillinger und dem Saxofonisten Philipp Gropper bildet er das Trio Gropper/Graupe/Lillinger, das sich bis vor Kurzem noch Hyperactive Kid nannte. Der Unterschied zu Graupes Trio ist beachtlich, herrscht hier doch ein deutlich rauerer Ton. Graupes Gitarre schwingt sperriger, verfremdeter, ist manchmal kaum als solche zu erkennen.

Die Band präsentiert sich auf „Riot“, ihrem sechsten Album, noch offener, bewegt sich noch fließender zwischen Jazz, freier Improvisation, abstrakten Rock-Ansätzen und Noise-Elektronik. Geblieben ist die bassfreie Quecksilbrigkeit, das Vertauschen der Rollen untereinander. Und die Unruhe.

Tim Caspar Boehme

Ronny Graupe: „The White Belt“ (Pirouet/NRW), live 4. 11., Pierogarnia

Gropper/Graupe/Lillinger: „Riot“ (WhyPlayJazz/NRW)