: Wunschkind und Trommelsolo
KONZERT Der Musiker Hans Unstern ist ein begnadeter Arrangeur ungewöhnlicher Geräusche – und ein toller Lyriker dazu. Am Mittwoch spielte er in Berlin
VON ELIAS KREUZMAIR
Klar, Hans Unstern nervt. Erst die Pressekonferenz zum Erscheinen seines Lyrikbandes „Hanky Panky Know How“, bei der er sich von einem blauhaarigen Jüngling im weißen Anzug und mit Fliegerbrille vertreten ließ, und jetzt das: ein nicht enden wollendes Trommelsolo als Konzertauftakt. Das Publikum murrt, das Publikum klatscht, nichts hilft. Der Mann auf der Bühne trommelt weiter einen einfachen Beat. Hinter ihm ein rot schimmernder Ballon, die Sonne geht auf, es sollte doch eigentlich losgehen im gut gefüllten Festsaal Kreuzberg, wo Unstern sein zweites Album „The Great Hans Unstern Swindle“ präsentiert.
Das Trommelsolo – natürlich verzeiht man ihm auch das. Nicht nur weil er sich später mit dem Song „Ich schäme mich“ höchst charmant und textlich ausgefuchst für sein Teilhaben an dieser ganzen Pop-Schwindel-Maschine entschuldigt, die Menschen einsaugt und Images ausspuckt, sondern weil hier der größte deutsche Lyriker seit Jochen Distelmeyer auf der Bühne steht. Jedes Wort ist wohlüberlegt zusammengeschnipselt aus den hohlen Formeln des Neoliberalismus, kontaminiert mit Prisen von Kafka, Bachmann, Celan. Dazu muss man als wohltuend anmerken, dass der Mann keine Angst vor Wörtern wie „pissen“ oder „kotzen“ hat. Außerdem hat Unstern seine Hausaufgaben im Fach Referenzen gemacht: Bei Blumfeld hieß es noch „Heute Morgen erwachte ich als Missgeburt“, bei Unstern heißt es „Heute Morgen erwachte ich als Wunschkind“ („Entweder & Oder“) – und genau so ein Wunschkind war Unstern für viele, die der in den 2000ern erwachten Schlagerliebe der Hamburger Schule nicht folgen wollten.
Dazu entpuppte sich Unstern, gut aufgehoben in der Staatsakt-Posse um Ja, Panik, Christiane Rösinger und Die Türen, als sensibler Arrangeur mit einem Ohr für ungewöhnliche Geräusche. Auch an diesem Abend stehen neben den Standardinstrumenten Gitarre, Bass, Schlagzeug noch eine Harfe, eine Tuba und allerhand ungewöhnliches Schlagwerk auf der Bühne. Mit diesem Instrumentarium bewegt sich Unstern von Folk- zu Rockmusik, vom Techno- zum Schwitters-Ursonaten-Gedächtnis-Beat.
Das Konzert ist durchinszeniert, jedoch auf dezente Weise – keine große Show, die Musik steht im Mittelpunkt. Dennoch hat man den Eindruck, eine kleine Popoper mit dem Titel „The Great Hans Unstern Swindle“ zu sehen. Der Hauptdarsteller singt von seinen Zweifeln, dem Schreiben, dem Problem mit der Identität und dem Verlauf der Grenze zwischen Privatem und Politischen, mal einsam, mal hoffnungsvoll, mal mit Wut: „Seit wann bedeutet rotsehen stehen bleiben“ („Bea Criminal“). Das Bühnenbild wirkt auf unaufgeregte Weise gekonnt, es besteht aus einer Handvoll großer Ballons, die abwechselnd in verschiedenen Farben leuchten.
Keine Zeit zum Atmen
Unstern lässt dem Publikum kaum Zeit zum Atmen, soll heißen Applaudieren. Meist geht ein Song in den anderen über, ein leises Geräusch verbindet sie. Das funktioniert auch als Strategie zum Spannungsaufbau: Die Zuhörerschaft nützt jede Pause zu kleinen Begeisterungsstürmen. Der Musiker zeigt sich davon ungerührt, nur einmal kommentiert er: „Vielen Dank. Ich schäme mich“ – und lässt dann den gleichnamigen Song folgen. Die Distanz zwischen Fan und Kunstfigur wird gewahrt, Unstern trägt zu seinem alttestamentarischen Bart wie immer Zöpfchen und Rollkragenpullover. Der anstrengende Teil seines Inszenierungswillens scheint jedoch an diesem Abend kaum auf. Hans Unstern nervt? Sagen wir so: Es lohnt sich durchzuhalten.