: Raus aus der Klinik
Psychiatrie-Reform Rund 1,2 Millionen Euro stehen für Modell-Projekte bereit. Damit sollen engere Verzahnung und Ambulantisierung bezahlt werden
von Karolina Meyer-Schilf
Ambulant und regional soll die Psychiatrie künftig ausgerichtet sein – das sind die Grundzüge der Bremer Psychiatrie-Reform, die jetzt in eine neue Phase tritt: Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt stellte gestern die Modellprojekte vor.
Handlungsbedarf gibt es vor allem in der nächtlichen Krisenversorgung, seitdem der bisherige Krisendienst aus finanziellen Gründen eingestellt worden ist. Künftig wird es zwischen 21 Uhr und 8.30 Uhr ein nächtliches Krisentelefon mit einer zentralen Nummer für ganz Bremen geben, betrieben wird es von der Gesellschaft für ambulante psychiatrische Dienste (Gapsy). Ebenfalls in Zusammenarbeit mit der Gapsy wird die bisherige Tagesstätte der Bremer Werkgemeinschaft (BWG) in Walle zum Nachtcafé erweitert: Hierhin können sich zwischen 19.30 Uhr und 2.30 Uhr Menschen aus Bremen-Mitte und dem Westen in akuten nächtlichen Krisensituationen wenden. Die Mitarbeiter vor Ort sind sozialpädagogische Fachkräfte. Gapsy-Geschäftsführerin Katrin Scherer machte jedoch deutlich: „Wir sind kein Ersatz für den Krisendienst, und wir wollen keine falschen Erwartungen wecken.“ So seien sie etwa für selbst- oder fremdgefährdende Personen weder zuständig noch aufgestellt. Man wolle „eng ambulant vor Ort“ mit den Hilfesuchenden zusammenarbeiten, aber „auch aufsuchend tätig“ werden. PatientInnen, die selbst- oder fremdgefährdend seien, würden in die Klinik gefahren. Das Nachtcafé soll Ende Januar 2017 öffnen, bis dahin gibt es noch einiges zu tun, sowohl baulich als auch personell: „Es ist eine Herausforderung, so schnell neue, qualifizierte Mitarbeiter zu finden“, sagte Scherer. Mit dem neuen Angebot soll verhindert werden, dass Personen mit nächtlichen Krisen sofort in die Klinik fahren. Dass im künftigen Nachtcafé weder Psychotherapeuten noch Psychiater vor Ort sind, sei dabei kein Nachteil. „Wir gehen davon aus, dass es im ambulanten Bereich nicht überall einen Psychiater braucht“, sagt Katrin Scherer. Und: „Man muss nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen.“ Das findet auch Wolfram Seibert, kommissarischer Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Klinikum Bremen Ost. Er glaubt: „Mancher geht nur darum ins Nachtcafé, weil er weiß, dass kein Psychiater anwesend ist.“ Die Professionalität sei damit nicht in Gefahr, das Nachtcafé helfe vielmehr, „Krisen aufzufangen“.
„Wir wollen damit ein möglichst niedrigschwelliges Angebot schaffen“, sagte Senatorin Quante-Brandt, für die Modellprojekte stehen rund 1,2 Millionen Euro bereit. Finanziert werden sollen damit auch acht neue Genesungsbegleiter: Das sind Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung, die eine einjährige Weiterbildung durchlaufen haben und eine Art Dolmetscherfunktion an der Schnittstelle zwischen PatientInnen und PsychiaterInnen einnehmen sollen. „Auf den Genesungsbegleitern lastet ein hoher Erwartungsdruck. Damit das nicht scheitert, begleiten wir die Arbeit mit Coachings und Supervision, damit sich die Mitarbeiter auch gegenseitig stärken können“, sagt Jörn Petersen von der Initiative für soziale Rehabilitation e.V. Auch Schulungen für die Einrichtungen, die künftig Genesungsbegleiter anstellen, soll es geben.
Katrin Scherer, GAPSY
Im Bremer Osten wird es künftig eine engere Verzahnung zwischen stationären und ambulanten Einrichtungen geben, um eine „sektorübergreifende Behandlung“ der PatientInnen zu gewährleisten. Dafür haben sich das Klinikum Ost, der Arbeiter Samariter Bund und die Gapsy zusammengetan: Das Ziel dabei ist, die PatientInnen so schnell wie möglich aus der stationären Behandlung in die Tagesklinik überzuleiten.
„Ambulantisierung, Vernetzung und der Einsatz von Genesungshelfern: Das geht genau in die richtige Richtung“, sagt die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen Kirsten Kappert-Gonther. Auch wenn die Reform noch nicht umfassend sei: Ein guter Anfang sei damit auf jeden Fall gemacht.
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