: Liberia sieht Licht am Ende des Tunnels
Mit den freiesten Wahlen seiner Geschichte zieht Liberia nächste Woche einen Schlussstrich unter die Ära des Bürgerkrieges. Fußballstar George Weah umwirbt die Jüngeren, Ökonomin Ellen Johnson-Sirleaf die Älteren. Die Jüngeren sind mehr
VON HAKEEM JIMO
Einfacher kann Wahlforschung kaum sein. In Liberia bedarf es nur eines Blicks auf die Menschen, die sich vor den jeweiligen Parteihäusern die Zeit vertreiben. Bei der „Unity Party“ an der Broadstreet direkt in der Innenstadt von Liberias Hauptstadt Monrovia stehen meist Frauen und Männer mittleren Alters. Die Frage kommt auf, warum diese Menschen nicht bei der Arbeit sind, obwohl sie in der Blüte des Lebens stehen und sicherlich Familien zu versorgen haben. Aber bei einer Arbeitslosenquote von 80 Prozent erübrigt sich das Nachbohren.
Die meisten der Neugierigen, Schaulustigen und Anhänger vor dem Parteihaus kennen ihr Land noch aus besseren Zeiten. Damals, als ein Inhaber eines liberianischen Passes noch kein Visum für die Einreise in die USA brauchte. Damals, als man zum Wochenendausflug noch ins Inland fuhr. Heute haben die 40- und 50-Jährigen kaum noch heile Kleidung. Viele setzen ihre Hoffnung bei den Wahlen am kommenden Dienstag in Ellen Johnson-Sirleaf, die bereits Ende der 70er-Jahre Finanzministerin war. Seit Jahrzehnten ist sie eine der markantesten politischen Figuren des Landes. Bevor sie dieses Mal erneut zum Sprung in den Präsidentenpalast ansetzt, war sie unter anderem Weltbank-Managerin.
Ein paar Kilometer auswärts, entlang des UN Drive, machen sich herumstehende Jugendliche nichts aus guter Kleidung. Zerfetzte Jeans und zerrissene Basketball-Trikots gehören für sie zum Leben wie Maschinengewehrschüsse noch vor nicht allzu langer Zeit. Das Durchschnittsalter liegt hier bei nicht mehr als 20 Jahren. Sie stehen vor dem Parteihaus des „Congress for Democratic Change“. Der unangefochtene Chef hier heißt George Oppong Weah. Alles tanzt nach seiner Pfeife, wie in den 90er-Jahren, als Weah einer der besten Fußballprofis der Welt war und unter anderem bei AC Mailand und Paris St. Germain spielte. Weah spricht vor allem junge Leute im Land an. Dazu gehören auch die ehemaligen, berühmt-berüchtigten Kindersoldaten. Die Gruppe der Jungen macht auch im Altersschnitt der Bevölkerung den Großteil aus.
1,35 Millionen wahlberechtigte Liberianerinnen und Liberianer werden am 11. Oktober über Präsidentenamt und Parlament entscheiden. Es sind die ersten Wahlen seit dem Ende eines blutigen Bürgerkrieges vor zwei Jahren. Frauen liegen bei der Anzahl der Wahlberechtigten leicht in Führung. Fünf Prozent der Wähler sind Kriegsvertriebene, die auch zwei Jahre nach Kriegsende noch nicht in ihre Heimatregion zurückkehren konnten. Noch immer lebt ein Drittel der Bevölkerung Liberias in und um die Hauptstadt Monrovia. Der Wiederaufbau des Landes kommt nur langsam voran.
Was die Wähler wollen, ist klar. Das unterscheidet sich wenig von Stadt zu Land und von Partei zu Partei: Strom, Wasser, Straßen, Arbeit, Gesundheitssystem, Schulen. Aber wer soll es machen? Auch wenn es nicht sofort gesagt wird: Die Fähigkeit zu versöhnen, einzubinden statt auszuschließen, wird über den Erfolg des nächsten Präsidenten entscheiden. Eine Konfliktforschungsgruppe hat vor Gefahren eines erneuten Bürgerkriegs gewarnt, sollten Korruption und Arroganz so weitergehen wie bisher. Denn mit dieser unsäglichen Tradition hat auch die amtierende Übergangsregierung unter Gyude Bryant nicht gebrochen, die unter UN-Schutz seit zwei Jahren regiert.
George Weah scheint beim Stimmungstest in Führung zu liegen, noch vor Ellen Johnson-Sirleaf. Doch viele Wähler haben sich noch nicht endgültig entschlossen. Vor allem aus dem oft schwer zugänglichen Hinterland kommen Klagen, dass die Bevölkerung wenig von den Kandidaten erfahren habe. Einfach weil diese ihren Hauptwahlkampf auf Monrovia konzentrierten. Außerdem ist Regenzeit, und es ist schwer, sich durch das zerstörte Land zu bewegen.
Neben den Favoriten George Weah und Ellen Johnson-Sirleaf stehen noch zwanzig andere Kandidaten im Rennen, darunter zwei erfolgreiche Anwälte, der Ex-UNO-Chef für Somalia und der neue Anführer der Partei des Ex-Staatschefs und Kriegsherren Charles Taylor. Nur einer der Kandidaten hat schon jetzt ausdrücklich gesagt, dass Taylor, der gemäß des geltenden Friedensabkommens von 2003 seine Macht abgab und straflos ins nigerianische Exil gehen durfte, vor das UN-Sondertribunal im benachbarten Sierra Leone gestellt werden müsse. Das liberianische Volk wird entscheiden, vielleicht in einem späteren Referendum, ob sich jemals die Leute vor Gericht zu verantworten haben, die mit ihrem blutigen Krieg ihr Land verwüsteten.