piwik no script img

Hobbykicker an der Spitze

Fußball Der SV Meppen führt die Tabelle in der Regionalliga Nord an. Das überrascht, denn der Verein hat alle Profis rausgeworfen. Die neuen Spieler bekommen keinen Cent

von David Joram

Eingeleitet worden ist der neue Meppener Weg mit einer schlechten Nachricht. Im Mai wurde bekannt, dass den Fußballern des SV Meppen für diese Saison 250.000 Euro fehlen würden. Ein Großsponsor hatte sich zurückgezogen, der andere sein finanzielles Engagement deutlich reduziert. Für einen Viertligisten ist eine Viertelmillion Euro sehr viel Geld – erst recht, wenn der Betrag plötzlich fehlt. Den Meppenern blieb also nur eins: Sparen, sparen, sparen.

An anderen Fußballstandorten sind die Haupttätigen in einem solchen Fall meistens darum bemüht, das zu schaffen, was gemeinhin als „moderater Übergang“ bezeichnet wird. Ein bisschen rationalisieren hier und dort, aber im Wesentlichen die Maschine im gewohnten Programm weiterlaufen lassen. Doch die Verantwortlichen des SV Meppen haben sich für einen radikaleren Weg entschieden.

Gestandene Profis mussten gehen – ersetzt hat sie der Verein durch Non-Profit-Kicker. Die machen eine Ausbildung oder Studieren in und um Meppen. Die guten Verbindungen der Vereinsführung in die Wirtschaft ermöglichen dies. Fürs Fußballspielen bekommen die Spieler keinen Cent mehr, dafür erhalten sie laut Verein einen Ausbildungsplatz.

Das Überraschende: Mit dieser Taktik hat der SV plötzlich Erfolg. Nach 13 Spielen steht das Team von Trainer Christian Neidhart in der Regionalliga Nord auf Platz eins. Die ersten neun Spiele gewannen die Feierabendfußballer allesamt.

Gestern stand das brisante Derby gegen den VfB Oldenburg an. 5.822 Zuschauer hatten sich im heimischen Hänsch-Stadion eingefunden, vor den Kartenhäuschen standen die Menschen Schlange wie zu besten Meppener Zweitligazeiten. Die heimischen Fans hofften gegen den VfB auf eine Revanche für das desaströse 1:5 im Februar. Über hundert Unterstützer waren sogar zum Abschlusstraining erschienen. Der Mannschaft sollte nach dem 3:3 in Norderstedt der Rücken gestärkt werden. Es half nichts.

Die Anfangsphase beherrschten die Meppener gegen den VfB eindeutig. Drei Großchancen kombinierten sich die Kicker des Tabellenführers heraus, spielten technisch sauber und geradlinig in die Spitze – nur das Tor trafen sie nicht. Oldenburg machte es besser. Mit der einzigen Chance in der ersten Halbzeit traf Daniel Franziskus zum 0:1. Meppen drückte fortan mächtig, ließ mit fortschreitender Spielzeit aber nach. Erst ab der 70. Minute drehten die Blau-Weißen nochmal richtig auf; im Tor landete der Ball trotzdem nicht. Nach 93 Minuten jubelten die Oldenburger.

Dass zu einem Heimspiel so viele Fans kommen, ist nicht selbstverständlich. In der Saison 2015/2016 landete der SV auf Platz fünf, 24 Punkte hinter Meister Wolfsburg. Eine Enttäuschung für die Anhänger, aber ein Erfolg für den Trainer. Der musste zeitweise zehn Spieler ersetzen. „Trotzdem war die Stimmung scheiße“, sagt Neidhart offen. Zu den Heimspielen kamen kaum Tausend Fans, wenn überhaupt. Und auch in der Mannschaft brodelte es, obwohl sie sich aus sportlicher Sicht nichts vorzuwerfen hatte.

Der gebürtige Braunschweiger Neidhart ist ein Grund, warum das Feierabendfußball-Modell so gut funktioniert. Besser gesagt sein Näschen für talentierte, preiswerte Kicker. Zusammen mit Co-Trainer Mario Neumann und Sportvorstand Heiner Beckmann lockte er sieben ablösefreie Spieler ins Emsland. Darunter Leistungsträger wie Thilo Leugerts, Benjamin Girth oder Marius Kleinsorge.

Vor allem auf Kicker, die eine räumliche und emotionale Nähe zum Verein haben, setzen sie beim SV Meppen. Und so knüpften Trainer und Vorstand viele Kontakte zu potenziellen Kandidaten, etliche ließen sich vom neuen Konzept überzeugen. Etwa Thilo Leugers der aus der Region stammt, aber auch schon für Twente Enschede in der Champions League gespielt hat. Zuletzt war er bei Atlético Baleares beschäftigt, das vom früheren Nationalspieler Christian Ziege trainiert wird.

Beim ambitionierten spanischen Drittligisten konnte sich Leugers nicht durchsetzen. Jetzt kurbelt er vom defensiven Mittelfeld aus das Meppener Spiel an. Ein stiller Leader sei er, sagen sie in Meppen – und die beste Verpflichtung, die der Verein in den letzten 15 Jahren getätigt habe. Eine zweite Chance bei einem neuen Verein wittert auch Torjäger Benjamin Girth. Bei seinem alten Klub Hessen Kassel war auch er aussortiert worden. In Meppen traf er in 13 Spielen schon achtmal. So ähnlich geht die Reihe weiter.

Ein anderer Faktor, der den Meppenern immer wieder Schnäppchen beschert, ist die Grenznähe zu den Niederlanden. „Viele technisch gute Spieler, die dort in den Profiteams nicht zum Einsatz kommen, wechseln lieber in Deutschlands vierte Liga als bei einer zweiten Mannschaft in Holland zu spielen“, sagt Neidhart.

Die Fans sind trotz Derbypleite euphorisiert, träumen bereits vom Aufstieg. Davon aber will noch kein Meppener Verantwortlicher öffentlich sprechen. Zumal das Märchen eine Etage höher automatisch enden müsste. „In der 3. Liga hast du keine Chance, wenn die Spieler nebenher noch arbeiten müssen“, sagt Neidhart. Die Fußballer müssten dann freigestellt werden, um häufiger trainieren zu können.

Wie genau das alles geregelt werden soll, weiß Neidhart noch nicht. Selbst seine eigene Zukunft ist noch offen, der Vertrag läuft zum Saisonende aus. Verlängern würde er gerne. Aber auch der SV Meppen ist eben ein Traditionsverein: Wenn Neidhart den Aufstieg mit einer offensichtlich aufstiegsfähigen Mannschaft nicht schafft, könnte auch sein Job in Gefahr sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen