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PorträtBewahrer des Kalifen-Schachs

Schach kennt fast jeder. Ein Spiel mit 64 Feldern, abwechselnd in Schwarz und Weiß, dazu zwei Reihen von jeweils 16 Spielfiguren in jenen Farben. Da gibt es den König, die Dame, Paare von Türmen, Läufern, Pferden und je acht Bauern. Und so sehr der 62 Jahre alte Elmshorner René Gralla die gängige Schach-Variante auch noch immer mag, so hat er doch für sich schon längst die Entdeckung gemacht, dass es bei diesem Spiel noch ganz andere Dimensionen gibt. Geheimnisvolle, mystische, archaische Seiten offenbaren sich demjenigen, der bereit ist, sie zu erforschen. Und das war Gralla.

Es war fast so, als wäre er bei einem überdimensionalen, modernen Schachspiel selbst eine Figur, und als wäre er irgendwann auf einem Feld gelandet, unter dem sich eine Treppe in eine andere, längst vergessen scheinende Welt verbarg. Für sich entdeckt hat der Journalist, der auch als Jurist tätig ist, das Shatranj, das ehrwürdige Schach der Kalifen. Es ist der iranische Vorläufer des modernen Schachspiels.

Statt Läufern gibt es es Elefanten, die sich auch immer nur genau zwei Felder in diagonaler Richtung bewegen können. Die Dame erhielt erst Ende des 15. Jahrhunderts ihre Dominanz. In der Shatranj-Version ist sie durch den Wesir ersetzt.

„Shatranj ist eine anfängerfreundliche Art. Jeder hat die Chance, gut mitzuhalten“, sagt Gralla, der die herkömmliche Variante des Spiels mit acht Jahren gelernt hat. Er kann also vergleichen: „Man wird nicht so schnell gedemütigt wie bei der westlichen Version“, sagt er.

Es ist Gralla ein Anliegen, dem Schach der Kalifen zu mehr Beachtung zu verhelfen. Aus diesem Grund stellte er es am Sonnabend in Hamburg vor. Mit Unterstützung des Tunesischen Konsulats und der Deutsch-Tunesischen Gesellschaft wurde im Asien-Afrika-Institut der Universität ein Shatranj-Turnier nach Schnellschach-Regeln ausgetragen. Es war ein Beitrag zu den „Arabischen Kulturwochen 2016“, die noch bis Mitte Dezember in Bremen und Hamburg stattfinden.

Beim „Sa’id ibn Jubair-Shatranj-Memorial 2016“, das nach Sai’id ibn Jubair (665-714), dem ersten Champion der Schachgeschichte benannt wurde, habe ein „gutes Dutzend“ mitgespielt, sagt Gralla. Unter ihnen befand sich auch die 25 Jahre alte Asia Haidar, die aus dem syrischen Aleppo vor dem Bombardement der verschiedenen Kriegsparteien geflohen ist.

Haidar hat das Shatranj erst hier kennengelernt. „Es sind ja viele Menschen aus dem arabischen Raum nach Deutschland gekommen“, sagt Gralla. „Und jetzt dürfen diese Menschen mit Stolz erfahren, dass Arabiens Originalschach Shatranj hierzulande neue Wertschätzung erfährt.“ gör

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