: Anfeuerungen von Umstehenden sind nicht belegbar
Suizid Augenzeugen sollen im thüringischen Schmölln einen jungen Flüchtling aus Somalia, der sich in den Tod stürzen wollte, durch Zurufe zur Selbsttötung ermuntert haben. Doch es gibt trotz Befragungen keine belastbaren Zeugenaussagen dafür
Stefan Erbse, zuständiger Schichtleiter des Einsatzes, erklärte, seine Kollegen seien mehrere Stunden vor Ort gewesen. Er habe mit allen Verantwortlichen gesprochen. Niemand der Kollegen habe aber Rufe wie „Spring doch“ gehört. Schmöllns Bürgermeister Sven Schrade (SPD) hatte sich durch die Hinweise auf zynische Rufe derartig alarmiert gefühlt, dass er am Sonnabend zu einer spontanen Pressekonferenz eingeladen hatte. „So etwas kann man nur verurteilen“, sagte er und sprach von einem „unglaublichen Akt“.
Die Version, dass Anwohner zum Sprung aufforderten, wird von David Hirsch gestützt. Er ist Geschäftsführer des Meuselwitzer Bildungszentrums, das die Unterkunft betreibt. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung berief er sich auf Mitarbeiter. Schichtleiter Erbse sagte dem MDR, eine Frau sein von der Polizei vernommen worden. Sie habe von Äußerungen von Anwohnern berichtet, die sie als Aufforderung zum Suizid interpretiert habe. Den konkreten Ruf habe sie jedoch nicht bestätigt. Nach seiner Einschätzung seien Darstellungen falsch, wonach sich ein „fremdenfeindlicher Schmöllner Mob“ vor dem Plattenbau versammelt habe. Nach seinen Angaben sollen nun weitere Zeugen angehört werden.
Der junge Somali kam über Lybien, Italien und die Schweiz im April nach Deutschland, war offenbar traumatisiert und befand sich in psychischer Behandlung. Erst am Freitag war er aus einer Klinik in Stadtroda entlassen worden. Er kam in die Gemeinschaftsunterkunft, wo er gemeinsam mit zehn anderen Flüchtlingen lebte. Dort soll er nach seiner Entlassung randaliert haben.
Polizei und Feuerwehr wurden gerufen, als er bereits auf der Fensterbank saß. Ein eilig aufgespanntes Sprungtuch verfehlte der junge Mann offenbar bewusst. Er soll kurz darauf im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen erlegen sein.
Mindestens ein Beobachter soll die Szene auf seinem Handy mitgeschnitten haben. Daraufhin forderten ihn Polizeibeamte auf, das Video vor ihren Augen zu löschen. Bürgermeister Schrade berichtete, dass ihn Fotos des jungen Flüchtlings auf der Fensterbank sitzend erreichten, versehen mit „unbegreiflichen Kommentaren“.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) twitterte sein Entsetzen, sollten die Vorwürfe der Rufe zutreffen. „Die Gier nach spektakulärem Geschehen lässt die Humanität auf der Strecke“, schrieb er. (mit epd) Michael Bartsch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen