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Julia, Desdemona und all die anderen

Festival Über den gewaltsamen Bühnentod: Das von der Neuköllner Oper organisierte Festival „In Schönheit sterben“ zeigte am Wochenende innovative Musiktheaterproduktionen aus dem In- und Ausland

von Katharina Granzin

Kaum eine andere Kunstform widmet sich seit alters her so intensiv dem Themenkomplex „Unglücklich verlaufende Liebesbeziehungen, Intrigen, Mord und Totschlag“ wie die Oper. In einer Zeit wie der jetzigen, da Gewalt und Terror in unserem Bewusstsein wieder allgegenwärtig sind, muss es daher auch die Aufgabe der Oper sein, sich mit einem dezidierten künstlerischen Kommentar zur aktuellen Lage der Dinge zu profilieren. So oder ähnlich dachten es sich jedenfalls die Macher der Neuköllner Oper und ersannen ein kleines mehrtägiges Festival zum Thema, dem sie den wunderbaren Titel „In Schönheit sterben“ gaben und das Ende vergangener Woche in zwei Neuköllner Spielstätten lief. Neben einer Eigen- und weiteren Berliner Produktionen hatte man auch drei ausländische Stücke eingeladen, von denen zwei bereits am ersten Festivalabend zu sehen waren: eines aus Italien, eines aus der Ukraine.

„Killing Desdemona“ hat die italienische Truppe Balletto civile ihr Stück betitelt, das nach keiner möglichen Definition eine „Oper“ genannt werden kann, aber definitiv ein sehr vielfältiges Stück Musiktheater ist. Shakespeares Eifersuchtsdrama „Othello“ fungiert als Basis für die Produktion, die vor sehr ernstem Hintergrund entstanden ist, nämlich dem in Italien im europäischen Vergleich überproportional häufig auftretenden „Femminicidio“. Mit diesem eigens dafür geprägten Begriff ist die Ermordung von Frauen durch ihren Beziehungspartner gemeint. Auszüge aus dem Shakespeare’schen Text, viele Tanzelemente und ein Bühnen-Soundtrack von Jochen Arbeit („Einstürzende Neubauten“), der drohend wabernde E-Gitarrenklänge hier und da mit Gesangsloops der Hauptdarstellerin Michela Lucenti mischt, vereinen sich zu einem Bühnenstück, das von der darstellerischen Performance her eindrucksvoll ist, aber insgesamt zu sehr vom Kopfe her gedacht wurde, um wirklich zu berühren.

Der Kontrast könnte kaum größer sein zum zweiten Stück des Abends, der ukrainischen Produktion „R + J“ unter Leitung des jungen Regisseurs Sashko Brama, die im leider viel zu sparsam besetzten Saal der Werkstatt der Kulturen stattfindet und zeigt, was multimediales Theater kann, wenn man dringend etwas zu sagen hat, weil ringsumher die Welt brennt. Eine große Videoleinwand überspannt den gesamten Bühnenhintergrund, die ganze Zeit läuft ein Film (von Volodymyr Stetskovych) mit, der – und dabei ist er sehr weit weg von der modisch dekonstruierenden Geste, zu der die Verwendung von Videoprojektionen im hiesigen Theaterbetrieb meist gerinnt – ein ganz eigenes Kunstwerk darstellt und im Laufe des Stücks höchst unterschiedliche Rollen in Bezug zum Bühnengeschehen einnimmt. Dieses Geschehen, ein fragmentarisches, assoziatives, poetisches Spiel mit Emotionen, hat den äußeren Rahmen eines lauten Rockkonzerts. Die Technik des Hauses gibt ihr Äußerstes, Menschen mit empfindlichen Gehörgängen angeln in der Tasche nach Ohrstöpseln, Stroboskoplichter flackern, manchmal muss man für Momente die Augen schließen.

Sie Russisch, er Ukrainisch

Zwei Musiker (Sergii Smetaniuk und FaUst) umrahmen auf der Bühne ein junges Paar (Marko Banko, Oksana Kozakevych), das in der Mitte singt, spricht, tanzt, schreit. Sie auf Russisch, er auf Ukrainisch, sie „Yulia“, er „Roma“. „R + J“ bezieht sich auf Romeo und Julia, auch hier ist also ein Shakespeare-Drama mitzudenken, ohne dass ein Shakespeare-Text verwendet wird. Die Geschehnisse auf dem Maidan und danach bilden den Hintergrund der angedeuteten Love Story in Texten und Liedern, der Film erzählt dazu das Seine. Zum Ende wird Yulias Vater, ein Separatist, überlebensgroß auf der Leinwand erscheinen und der Tochter drohen, sie umzubringen, wenn sie nicht mitkomme nach Russland. Yulia bietet dem Vater die Stirn und flieht in eine drogeninduzierte Bewusstlosigkeit. Ohnehin hält sie den Geliebten für tot. Musik und Film erzählen endlich von großem Seelenfrieden.

Ganz am Schluss stellen sich alle vier Mitwirkenden ganz vorn vor das Publikum, nun aus ihrer Bühnenrolle gefallen, und erklären ihre persönliche Sicht auf den Krieg im Osten. Die Sängerin erzählt von ihrer Arbeit in einer Apotheke und wie sie beim Verkauf von Medikamenten und Verbandspäckchen an den Tod junger Soldaten denken muss. Der Bassist plädiert dafür, den Donbass sich selbst zu überlassen, schließlich mache nicht die Größe ein Land aus, sondern die Menschen, die darin leben. Im abschließenden Publikumsgespräch erzählt der Regisseur eher nebenbei, dass sein Stück in der Ukraine nicht gespielt werde. Einmal hätten sie es gezeigt, und die Kritiker hätten es nicht gemocht. Außerdem erfordere die Produktion einen technischen Aufwand, der von fast keiner ukrainischen Bühne geleistet werden könne. So fahre man eben damit ins Ausland, wenn man eingeladen werde.

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