Flüchtlinge in der Wüste ausgesetzt

Das Flüchtlingsdrama an der marokkanisch-spanischen Grenze spitzt sich zu: Marokko fährt Busse voller Verletzter ohne Nahrung und Wasser in die Wüste, berichtet „Ärzte ohne Grenzen“. Spanien startet Massenabschiebungen nach Marokko

AUS MADRID REINER WANDLER

Das Hilfswerk „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF) in Marokko schlägt schon wieder Alarm. „Wir haben Hunderte von Immigranten mitten in der Wüste gefunden“, erklärt der Chefkoordinator Javier Garaldón. Der spanische Arzt Garaldón befindet sich mit einem MSF-Team in der Nähe des Dorfes El-Aouina-Souafar, zwischen der marokkanischen Stadt Bouadane und dem algerischen Bechar, 400 Kilometer südlich der Grenzstadt Oujda.

„Viele der Immigranten sind schwer verletzt. Auch hochschwangere Frauen und Kinder befinden sich darunter. Sie sind alle in einem sehr schlechten Zustand“, erklärt Garaldón telefonisch. Die Menschen wüssten nicht, wo sie seien, hätten keine Nahrung und kein Wasser. Die nächste Ortschaft sei mehr als einen Tagesmarsch entfernt.

Die Verletzungen, ist er sich sicher, stammen von den Grenzzäunen in Melilla und Ceuta, den zwei spanischen Enklaven an der nordafrikanischen Küste, an der es in den vergangenen Wochen immer wieder zu Massenanstürmen kam. Die Menschen wurden in den grenznahen Wäldern rund um Melilla und Ceuta verhaftet und in Lkws und Bussen in den Süden verfrachtet. Auch aus Marokkos Hauptstadt Rabat seien Schwarzafrikaner dabei.

Gestern hatte die taz berichtet, dass laut MSF die marokkanischen und spanischen Sicherheitskräfte viel härter gegen Migranten vorgehen als bisher bekannt. 6.300 Todesfälle, fast die Hälfte davon durch die marokkanischen Sicherheitskräfte verursacht, seien in zehn Jahren zu verzeichnen gewesen.

Beim letzten Massenansturm der Flüchtlinge auf die spanischen Grenzzäune am Donnerstag verloren mindestens sechs Immigranten ihr Leben. Sie wurden erschossen. „In legitimer Selbstverteidigung“, heißt es aus dem Innenministerium in Rabat. Wie viele Verletzte es bei der Aktion gegen 500 Grenzstürmer gab, darüber schweigen Rabat und Madrid. Nur einem Flüchtling gelang der Durchbruch.

„Die Schwarzafrikaner werden nicht wie Menschen behandelt, sondern wie Objekte“, sagt der Präsident der Marokkanischen Menschenrechtsvereinigung (AMDH), Amin Hamid. Die Abschiebefahrt vom Norden Marokkos an die algerische Grenze im Süden dauert bis zu zehn Stunden. Die Betroffenen sind dabei oft mit Handschellen gefesselt. Es gibt kein Wasser, keine Nahrung und keine Pausen. „An der algerischen Grenze sind mehrere Abgeschobene gestorben“, erklärt Hamid. Die AMDH wird immer wieder von verzweifelten Abgeschobenen per Handy angerufen: „Je nach Quelle sollen in den letzten Wochen zwischen 8 und 24 Personen in der Wüste den Tod gefunden haben.“

Trotzdem hat Spanien am späten Donnerstagabend erstmals ein 73 Mann starkes Flüchtlingskontingent aus Melilla nach Marokko abgeschoben. Die Flüchtlinge wurden erst über das Mittelmeer nach Malaga in Spanien geflogen. Von dort wurden sie per Schiff zurück nach Marokko verfrachtet, in die Hafenstadt Tanger. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass sie früher oder später in der Wüste enden“, erklärt MSF-Teamleiter Garaldón.

„Wir sind sehr besorgt darüber, dass Immigranten abgeschoben werden, die gerade erst angekommen sind“, erklärt die Sprecherin des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) in Madrid, Francesca Fontanini. Viele Schwarzafrikaner liefen in ihrer Heimat Gefahr, misshandelt zu werden, erklärt Fontanini, die drei Jahre in Sierra Leone gearbeitet hat. Normalerweise sieht das spanische Gesetz einen 40-tägigen Abschiebeprozess vor. Trotzdem wollen die spanischen Behörden die Abschiebungen in den nächsten Tagen intensivieren. Dem Madrider Innenministerium waren gestern keine Erklärungen zu entlocken.